Worum ging es bei der supergut besuchten Veranstaltung am Montag (4.11.) im ROTEN SALON HAMBURG mit Lukas Meisner und seinem Buch, was heißt Buch, leidenschaftlichem Manifest, Plädoyer – „Medienkritik ist links“? Und was sagt die taz selbst dazu, dass sie im SALON immer wieder als „nicht mehr links“ bezeichnet wurde?
GROSSRAUMDISCO
Wer ist mal links gestartet und heute bürgerlich?
Es ist die taz. Auf einer Lesung in Hamburg über Medienkritik und fehlenden Mut von Jounalist*innen bekam sie ihr Fett weg. Dafür gab´s Gummibärchen
Von Amira Klute (aus: wochentaz, 9.-15. November 2024)
Im Roten Salon wird gewartet, ob noch wer kommt. Der Ort ist weder rot, noch Salon, sondern ein Raum in der Hamburger Uni, der aussieht wie ein Klassenzimmer an einem Montagabend. Vorne Kreide-Reste an der Tafel, davor Reihen grauer Plastiktische, über allem kaltweißes Licht. Die Plätze sind schon gut besetzt. Neben mir werden Apfelchips ausgepackt.
Wenigstens ist das Thema spannend: ideologiekritische Medienkritik und die Frage, ob die taz noch links ist. Ich schenke mir Tee ein.
Am Pult vorne unter der Tafel sitzen zwei Männer mit Brillen und Anzügen. Der eine hat graue Haare, der andere braune.
Vor ihnen liegen mehrere Exemplare des Buches „Medienkritik ist links“ Der Braunhaarige heißt Lukas Meisner, ist Soziologe und hat das Buch geschrieben. Der andere ist Michael Hopp und hat Meisner eingeladen. Hopp organisiert seit diesem Jahr die Veranstaltungsreihe „Roter Salon“, zusammen mit der Marxistischen Abendschule Hamburg und der Liste unabhängiger Verlage.
Die Tür geht auf und ein Pizzakarton schiebt sich durch den Spalt. Dazu gehört eine junge Person. „Oh, Pizza für alle?“ ruft meine Sitznachbarin, graue Strähnchen. Die Pizzaperson setzt sich schnell in eine der hinteren Reihen.
Michael Hopp will anfangen: „Wir Ältere wissen es noch“, … und unterbricht sich: „Heute sind ja gar nicht so viele Ältere da, was mich sehr freut!“
Ich drehe mich um und schaue ins Publikum. Ein bisschen graue Haare, ein paar blondierte Strähnchen.
Mehrere Schurwollpullover, aber auch einige T-Shirts. Er hat recht. Es ist eine gute Mischung.
Hopp ist inzwischen dabei, ins Thema einzuleiten. Er erzählt, wie die Bild 1967 auf Benno Ohnesorg mitgeschossen hat, dass Medienkritik früher links war und wie er mal einen Text mit Dutschke und Cohn-Bendit redigieren durfte.
„Süß!“, ruft eine Frau mit roter Mütze vor mir.
Dann geht es los. Meisner erzählt, was in seinem Buch steht und liest daraus vor. Er sagt, Medienkritik gelte seit einigen Jahren als rechts, aber Linke sollten sie sich zurückholen. Denn was berichtet wird, sei wichtig, weil es die Öffentlichkeit präge, und die stecke im neoliberalen Kapitalismus in der Krise. „Das Problem ist, wir haben keine linken Medien mehr“, sagt Meisner.
Blätter wie die taz seien links gestartet, aber heute bürgerlich, teils „haarsträubend rechtsliberal“. Niemand benenne mehr den Kapitalismus als Grundlage dieser Gesellschaft. Das liege an den Zwängen des selbigen, aber auch am fehlenden Mut der Journalist*innen, die nicht anecken wollten.
Ich rutsche ein Stück tiefer in den Stuhl, stecke mein Kinn in meinen Rollkragen und denke, dass da was dran ist. Vorne will Hopp von Meisner wissen, wo die linke Medienkritik stattfinden könnte, wenn die taz den Bach runter gegangen ist. „Wie kommen wir aus der Nummer raus?“ Meisner windet sich ein bisschen um die Antwort und nennt einen Podcast und die Freien Radios. Im Publikum brummen zwei alte männliche Stimmen zustimmend.
„Seid ihr noch wach?“, fragt Hopp das Publikum. „Weiter!“, ruft die Frau mit der Mütze.
Dann geht es um die Berichterstattung zum Krieg in der Ukraine. Hopp liest aus einem Kommentar, der in der taz erschienen ist. Hopp und Meisner sind sich einig, die taz sei „teilweise bellizistischer als die Welt“ und nicht mehr links, wie die Grünen. Das Publikum wird langsam unruhig und will Fragen stellen. Hopp reckt eine Faust in die Höhe und sagt: „Wir springen ans Ende des Buches, wo Lukas politisch die Katze aus dem Sack lässt!“ „Hab ich das vorher noch nicht?“ sagt Meisner gut gelaunt und klappt sein Buch wieder auf.
Als er fertig ist, klopfen alle auf die Tische, wie nach einer Vorlesung. „Habt ihr noch Kraft?“, sagt Hopp vor der Fragerunde, „hätte hier eine Tüte Gummibärchen.“ „Gummibärchen für alle!“ brüllt meine Sitznachbarin und die Tüte geht rum. Ich nehme eine ganze Handvoll und sage, dass ich bei der taz bin und linken Journalismus machen will. „Macht nichts“, dreht sich einer im Wollpulli zu mir um, „du darfst ruhig bleiben.“
Amira Klute
KOMPLETT ZUM NACHHÖREN
Der Hamburger Sender FSK hat die Veranstaltung mitgeschnitten und am Tag darauf auch ein Interview mit Lukas Meisner geführt. Vielen Dank! Hier zum Interview:
https://www.freie-radios.net/131708 + https://www.freie-radios.net/131709
HALLO, LUKAS
„Hallo, Lukas, schön dass Du da bist. Was Du in dem Buch machst, Du verschweißt linke Medienkritik mit marxistischer Ideologiekritik und leitest her, warum die Linke heute medienkritisch sein muss gegen Rechte, Liberale und Linksliberale gleichermaßen, und warum Medienkritik, um auf ihren Begriff zu kommen, links zu sein hat, gerade in Abgrenzung zu heute so erfolgreich von rechts kommenden Medienkritik a la Lügenpresse und Fake News. Am Vorabend zur US Wahl haben wir also ein hochaktuelles Thema.“
WERBEBLOCK I.
„Ich begrüße Euch zum vierten ROTEN SALON, mehr haben wir nicht geschafft in diesem Jahr, einen gibt es noch bis zum Jahresende, den Ersatztermin Ilko Sascha Kowalczuk mit seiner monumentalen Walter Ulbricht-Biografie am 25. November, also schon in drei Wochen, hier an dieser wunderschönen Uni. Hoffen wir, dass der Autor an dem Tag körperlich fit ist und die Reise aus Berlin nach Hamburg antreten kann. Er hofft es jedenfalls sehr, hat er mir erst letzte Woche gesagt.“
Anmeldung: https://roter-salon-hamburg.de/kowalczuk-wer-war-walter-ulbricht/
In der gleichen Woche, am 7.11. gab es – auch an der Uni Hamburg – eine Veranstaltung unseres Kooperationspartners MASCH, es ging um den neu erschienenen Band 9/II des „Historisch-Kritischen Wörterbuch des Marxismus“ im Argument Verlag, als Gäste drei Mitarbeiter des Berliner Instituts für Kritische Theorie (InKRit) die mit einem Netzwerk von 600 Autoren weltweit das Wörterbuch produzieren. „Wir behandeln jeden Begriff wie eine Person“, erklärten sie ihre Methode.
https://argument.de/produkt-kategorie/historisch-kritisches-woerterbuch-des-marxismus
https://www.inkrit.de/neuinkrit/index.php/de
Lukas Meisner wird Chefredakteur von „Das Argument“
Lukas Meisner war da schon abgereist, doch wäre sicher Gast der Wöörterbuch-Veranstaltung gewesen, denn er wurde im Sommer zum Chefredakteur der ebenfalls im Argument Verlag erscheinenden, 1959 von Wolfgang Fritz Haug gegründeten marxistischen Wissenschaftszeitschrift „Das Argument“ berufen – Haug ist auch Gründer des Wörterbuchprojekts. Alles Gute, Lukas, zu dieser großen Aufgabe, die wichtige Zeitschrift mit großer Tradition in die Zukunft zu führen!
https://argument.de/produkt-kategorie/das-argument-zeitschrift
WERBEBLOCK II.
„Eine Änderung hoffentlich zum Guten gibt es auch beim ROTEN SALON – die begleitenden Inhalte zu den Veranstaltungen findet Ihr schon seit ein paar Wochen direkt auf der Website des ROTEN SALON – und ihr müsst nicht mehr den schwer nachvollziehbaren Weg über meinen Blog gehen. Darüber hinaus gibt es weiterhin in unregelmäßigen Abständen das Mailing, das Euch aktuell über Veränderungen bei den Veranstaltungen informiert – und die Social Media Posts auf Facebook und x/twitter, über die Ihr uns auch immer erreichen könnt. Bei Google ist der ROTE SALON Hamburg ganz gut gelistet, so dass es keine Ausrede gibt, uns nicht zu erreichen!“
Reinschauen: https://roter-salon-hamburg.de/
URKNALL DER MEDIENKRITIK – 1968 oder schon bei der Gleichschaltung der Presse durch die Nazis?
INTRO zum ROTEN SALON mit Lukas Meisner
„Wir Ältere wissen es noch, für alle anderen sei es aufgefrischt: Am 2. Juni 1967 wurde der Student Benno Ohnesorg während einer Anti-Schah-Demonstration in Berlin von einem Polizisten erschossen. In der BILD-Zeitung vom 3. Juni hiess es: „Er wurde Opfer von Krawallen, die politische Halbstarke inszenierten.“. Und am nächsten Morgen, nachdem es zu Protesten gekommen war, titelte „BILD“: „Studenten drohen: Wir schießen zurück.“ Auf Demos hieß es : „“Bild“ hat mitgeschossen! „Bild“ hat mitgeschossen!“
Als nicht einmal ein Jahr später, am 11. April 1968, Rudi Dutschke in Berlin Opfer eines Attentats des Neo-Nazis Josef Bachmann wurde, forderten Theodor W. Adorno, Heinrich Böll, Alexander Mitscherlich und andere, endlich mit „der Verunglimpfung demokratisch engagierter Studenten und Intellektueller“ aufzuhören. Das war der Beginn der Studentenrevolte – und der Urknall der Medienkritik. (Anmerkung: Lukas Meisner datiert diesen Urknall schon in Nazizeit und Weimarer Republik.)
Einige Jahre später erklärte Günter Wallraff, der unerkannt bei „Bild“ recherchiert hatte:
„Das hat alles nichts mehr mit Journalismus zu tun. Das ist, ich würde sagen, kriminelles Treiben. Ich hatte überhaupt manchmal den Eindruck bei „Bild“, ich war nicht in einer Zeitungsredaktion, ich war in einem mafiaähnlichen, männerbündlerischen Geheimbund.“
„Als 1955 Geborener hatte ich das Glück, von dieser Zeit geprägt worden zu sein. Mit 16 wusste ich, ich will Schreiben und Politik zusammenbringen. Günter Wallraff war für mich ein unerreichbares Vorbild. Ich sass in Wien in den Redaktionskonferenzen der „Nachrichten für Unzufriedene“, die von der Sektion VI. der militanten Spartakus-Gruppe herausgegeben wurde, begann zu schreiben für „trotzdem“, das Zentralorgan der Sozialistischen Jugend, bereiste für meine erste Reportage die DDR und stellte ihr ds Zeugnis aus, das „bessere Deutschland“ zu sein, und machte Volontariat und Verlagslehre im „Neuen Forvm“, der „Zeitschrift für den Dialog zwischen Christentum und Marxismus“. Ich durfte mit Dutschke und Cohn-Bendit einen Text redigieren. (Zwischenruf aus dem Publikum: „Süß!“)
Für das „Forvm“ war ich 1978 Berichterstatter von “Tunix“ in Berlin , der Sponti-Kongresses, auf dem die taz gegründet wurde. Damit begann eine Zeit, in der es so aussah und in gewissem Ausmaß auch so war, als würde sich eine große, starke linke Medien- und Verlagswelt etablieren, mit – in der Summe – Millionenauflagen. Erfolgreich gründeten wir in Wien den WIENER als Stadtmagazin, später „Tempo“ hier in Hamburg. Ich ging ich den Marsch durch die Institutionen, in Österreich im öffentlich-rechtlichen ORF, in Deutschland dann bei rechten Verlagen wie Bauer oder linksliberalen wie Gruner und Jahr.. Passte mich an, ohne es zu merken, wollte einfach immer erfolgreich sein.
Viele linke Kollegen von früher tauchten als Chefredakteure und Feuilletonchefs in den mächtigen und reichen linksliberalen Verlagen wieder auf. Wir alle verdienten gut. Und wir alle zusammen redeten uns ein, wir seien dabei, sowas wie die von Gramsci entworfene kulturelle Hegemonie in Deutschland zu errichten, was in gewisser Weise etwa mit der rot-grünen Mehrheit von 1998 auch eine realpolitische Dimension annahm.
Heute stehen wir vor einem Trümmerhaufen. Linke Mehrheiten sind in Deutschland weg, die Rechte triumphiert. Rot und Grün rücken nach rechts, die linken und linksliberalen Zeitungen sind nicht mehr links, wie Spiegel und taz, und was von der linken Presse geblieben ist, ist marginalisiert.
Stark getrieben von neuen Medien, wie Social Media, ist inzwischen die Rechte, ja die extrem Rechte dabei, eine kulturelle Hegemonie zu errichten mit der erschreckenden Wirkkraft einer Streubombe.
Haltungen wechseln die Seite, links und rechts werden scheinbar verwechselbar. In diese Situation hat Lukas sein Buch geschrieben, „Medienkritik muss links sein“, das seit langem wieder die Rolle der Medien aus linker Sicht thematisiert und das verunsicherte Schweigen der Linken zu diesem Thema bricht.
Wie kann die Linke aus Medienkritik ein Momentum entwickeln, das sie wieder zum Korrektiv in den Köpfen werden lässt und wie kann sie auf diesem Wege auch wieder selbst Medienkompetenz entwickeln – das sind die Fragen, die Lukas Meisner stellt und in Umrissen auch beantwortet.“ M.H.
Lukas Meisner, Jahrgang 1993, studierte Philosophie, Soziologie und Komparatistik in Tübingen, Berlin und London. Anschließend promovierte er zur kritischen Theorie u.a. am Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien. Zurzeit lehrt er an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht. Auf X/Twitter schreibt er unter @endofprehistory