Kind von Marx und Coca Cola

Was ist los in Amerika? Schon das Wort macht den unbeholfenen kleinen Einstieg groß. Es schreit dich an, und heischt gleichzeitig nach Aufmerksamkeit.
Autoritärer Kapitalismus? Digitale Oligarchie? Vor kurzem war ich in einer Veranstaltung, in der diese Begriffe zur Auswahl gestellt wurden – was sofort klar machte, dass wir noch keine „richtige“ (entsprechenden, zutreffenden) Bezeichnung gefunden haben, für das Unfassbare, das da abgeht.  Zeitzeuge zu sein, hilft zunächst nicht viel.
Eine bisher zu wenig bedachte Folge des politischen Chaos ist, dass auch die Sprache ins Chaos stürzt, das Denken. Es entsteht eine Art politischer Schnappatmung, die gerade grosse Teile der deutschen Politik in den Abgrund reißt. Wir bekommen eine schreckliche neue Regierung, die jetzt schon alles dafür tut, die AfD noch stärker zu machen.
Schlechte Nachrichten sind schon scheiße, aber eine große Zahl unzusammenhängender oder einander widersprechender schlechter Nachrichten, das bringt die Denksysteme zum Abstürzen und führt unmittelbar zur Depression. Aus dem Gaza-Streifen wurde soeben berichtet, daß die Menschen keine Nachrichten mehr hören, weil sie nicht mehr davon ausgehen, daß es auch gute Nachrichten gibt. Hier ist es inzwischen nicht viel anders. Viele flüchten sich in ein News-Detox, um ihren Alltag zu schützen.
Was denken über Amerika, was tun? Jetzt schon werden täglich Hunderte Menschen verhaftet, aus ihren Betten, Wohnungen, Büro geholt, auf der Strasse aufgehalten. Ja, es ist ein Staatsstreich, Bediensteten der Behörden wird mit Gewalt der Zugang zu ihren Büros verwehrt, zehntausende Beamte werden nach Hause geschickt. Musk will einen digitalen Überwachungsstaat einrichten, kriegt aber, voerst, nichts auf die Reihe, weil er zu durchgeknallt ist.
Bei uns gingen schon Listen um, kauft keine amerikanischen Waren. Ich schreibe dies auf einem Apple-Computer. Ich habe Jeans von Levi´s an. Ich war letzte Woche im Bob Dylan-Film „Like A Complete Unknown“. Ich bin ein Kind von Marx und Coca Cola, damit, ich weiß, schon zur seltenen Spezies geworden, innerhalb der Linken jedenfalls, die Coca Cola-Fraktion ist stärker.
“Rechte Revolution“ ist es keine, habe ich gestern mit einem Freund diskutiert. Eine Revolution verspricht Verbesserung für die Zukunft. Das tut Trump nicht. Er macht sich nicht mal die Mühe, Verbesserungen für irgendwelche Gruppen in Aussicht zu stellen. Daß die Arbeitsplätze im Rust Belt wieder zurückkommen, daran glaubt er selbst nicht, ist auch egal. Er gründet seine Politik auf die Wiedergutmachtung einer narzisstischen Kränkung („wieder gross werden“) und baut darauf eine Hegemonie, die für Menschen den Rahmen bildet, gegen ihre eigenen Interessen zu handeln. So ungefähr.
Aber was tun, wie sich einstellen? Für mich waren die deutsche, die europäische Linke seit Marx mit der US-Bürgerbewegung und der US-Gegenkultur (okay, ich nehme die „Marx Brothers“ und viele Hollywood-Filme dazu, die US-Literatur ohnehin) immer untrennbar verbunden. Ich war auch so naiv, zu glauben, Apple-Computer und das frühe Silicon Valley seien eine Fortsetzung der Hippie-Kultur mit technischen Mitteln. Das traf für viele der ehemals Neuen Linken zu, mit ihrem Faible für Popkultur und bunte Computer, die schon wegen ihrer Massenwirksamkeit faszinierend waren.

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Burroughs, Ginsberg, Kerouac – Amerika hatte nicht nur die grösseren Kühlschränke

Wie denken? Trump hat insofern ein richtiges Gefühl, als er keine Zukunft für den US-Kapitalismus sieht. Der Vorsprung in digitaler Technologie, den das Silicon Valley gebracht hat, kann schnell dahinschmelzen, denn digitale Technik ist schneller kopierbar als jedes andere Industriegut. Wenn Trump auch die linksliberale Kultur zerstört, die Forschung und die Wissenschaft, bringt er das Land um sein Ansehen und rückt es die Nähe einer unverblümten Barbarei, eines Rückschritts der Zivilisation – „Größe“ ist dann, ja, was?
Global ist Amerika in der Defensive. In Putin findet Trum keinen Partner, weil der sich von China mehr versprechen kann. China kann Trump nichts einreden, es gibt kaum noch etwas, das es nicht kann. Die Mischung aus Plan, Technologie und Innovation ist erfolgreich, jetzt soll auch noch was für den Lebensstandard der Massen gemacht werden. China ist nicht isoliert, weil es mit den Hoffnungen des globalen Süden spekuliert. Aber das wichtigste, es hat, was Amerika in der Trump-Ausrichtung nicht hat: Zukunft.
Wenn in Amerika alles den Bach runter geht, ist das gut für uns? Natürlich nicht. Was da geht, geht bei uns im Prinzip auch, viele Politiker üben schon, auch wenn sich einer wie Friedrich Merz mit seiner „Am Tag nach der Amtsübernahme“-Rhetorik erstmal nur lächerlich gemacht hat. Können wir das hin nehmen? Ein fallender Kapitalismus reißt alles in den Abgrund, das Elend kommt wie ein Peitschenschlag. Warum ist „unsere Linke“ so still? Ich will sagen: Alle Amerikaner und alle Einwanderer, die jetzt bedroht, erniedrig, gedemütigt, ins Elend gestürzt, verfolgt und eingesperrt werden, verdienen unser Mitgefühl und unsere Solidarität. We shall overcome. M.H.

Der Artikel im folgenden ist eine um eine Anmerkung ergänzte Version eines taz-Artikels vom 18.03. Er steht hier, weil er ein wunderbares Update ist für die Situation in Amerika in diesen Tagen. Und übrigens, die Überschrift ist geändert.

SOLIDARITÄT MIT DEM AMERIKANISCHEN VOLK
Die Zerstörung einer scheinbar starken Demokratie betrifft am Ende auch uns

Von Bernd Pickert

Donald Trump zerschlägt die US-amerikanische Rechtsstaatlichkeit in ungeahntem Tempo, nicht nur im jüngsten Fall der illegalen Ausweisung venezolanischer Staatsbürger nach El Salvador. In nahezu allen Politikfeldern missachtet er die Gesetzeslage, die Rechte des Kongresses, Eilanordnungen von Gerichten. Mit Elon Musks sogenannter „Behörde für Regierungseffizienz“ schafft er Fakten, zerstört Institutionen der US-Regierung, die dann bereits zerstört sind, wenn Gerichte im Nachhinein anordnen, die zu Unrecht gefeuerten Mitarbeiter:innen müssten wieder eingestellt werden.
Der US-Präsident  missachtet das Vorrecht des Kongresses, über Ausgaben zu entscheiden, lässt Programme stoppen, die der Kongress bewilligt hat. Das zerstört Wissenschaft, Kultur, Umweltschutz und internationale Entwicklung in hohem Tempo. Er benutzt FBI und Justizministerium, um politische Gegner einzuschüchtern. Er diskriminiert alle Minderheiten, die im letzten Dreivierteljahrhundert von staatlichen Förderprogrammen profitiert haben könnten, Schwarze, Hispanics, POC, queere Menschen, trans Personen, Frauen.
Das Urteil des Obersten Gerichtshofs aus dem vergangenen Jahr, mit dem Trump volle Immunität für im Amte begangene Vergehen zugesichert wird, zeigt seine verheerende Wirkung. Diese wird noch verstärkt durch die Zusammensetzung des Kongresses. Die demokratische Oppositionsführung agiert feige und zahnlos – wie zuletzt bei der Senatsabstimmung über den Übergangshaushalt, der in Teilen einem Ermächtigungsgesetz gleichkommt. Die Demokraten tun nichts, als über die nächsten Wahlen zu reden. (Aber hat Trump nicht immer gesagt, wenn es nach ihm ginge, wird es keine weiteren Wahlen geben? – Anm. des „Setzers“ M.H.)
Die republikanische Mehrheit hingegen hat jede Eigenständigkeit an King Trump abgegeben. Dazu kommt eine stark gewachsene „Maga“-Propagandamaschinerie, die, getarnt als Journalisten, langsam die Reporterplätze im Pressesaal des Weißen Hause übernimmt.
Wer je wissen wollte, wie es aussieht, wenn ein scheinbar starke, stabile Demokratie im Eiltemp zerstört und in eine moderne Form eines letztlich faschistischen Autoritarismus umgebaut wird, kann das gerade live beobachten. Aber beobachten reicht nicht: Diejenigen, deren Lebensgrundlagen gerade zerstört werden, brauchen volle Solidarität, auch aus dem Ausland.
Und wer auch hierzulande immer noch „woke“ Politik als Hauptübel ansieht, muss sich fragen lassen, ob er noch alle Tassen im Schrank hat.

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