Her mit all den gütigen Beamten!

High sein, frei sein, ein bisschen Terror muss dabei sein – so doof der Spruch auch ist, ich bekomme ihn nicht aus dem Kopf, seit Jahrzehnten schon nicht, deutet er doch recht gut das Lebensgefühl „unserer Generation“ an,  jedenfalls des kleineren  Teils davon, dem ich mich zugehörig fühle, aus Gründen, nö, das führt zu weit hier heute.
Der sogenannte Terrorismus lässt uns nicht los und wir ihn nicht. Gerade die letzten Monate boten reichlich Gelegenheit zur Auseinandersetzung. Im Februar 2024 die absurd groß inszenierte Verhaftung der „RAF-Renterin“ („Bild“) Daniela Klatte, plus die dazu gehörigen Solidaritätsaktionen bis zum Prozessbeginn vor einigen Wochen. Später der in der taz aufgetauchte, tapfere, politisch richtige  „Bekenner-Text“ des heute noch flüchtigen Burkhard Gerweg, und als Kontrast dazu die Erinnerungen von Silke Maier-Witt, „voller Reue“, wie der Verlag schrieb.
Zwei weitere Reminiszenzen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, sollen heute hier beschrieben sein. Beginnen wir mit dem ungleich größeren, der schicken ARD-Dokufiction „Stammheim – Zeit des Terrors“, die uns die Anstalt zum 50. Jahrestag des Prozessauftaktes in Stammheim im Mai 1975 spendiert.
Autoren sind der weit nach rechts zur Springer-Welt abgetriebene, frühere Chefredakteur von  St. Pauli Nachrichten und Der Spiegel,  „Baader-Meinhof-Komplex“-Autor Stefan Aust, sowie der erfahrene „Tatort“-Regisseur Niki Stein.

Der Glamour ist weg, geblieben sind elende Gestalten

Wie es Aust-Stil ist, wurden viele Original-Dokumente verarbeitet, und Regisseur Stein stellt seine „Tatort“-Routine aus, was dem ganzen den nötigen Prime-Time- „Wums“ verleiht, samt einiger verblüffend gut gelungener Effekte, etwa der Montage von  Origanalbildaufnahmen des Prozesses mit nachgedrehtem Material – nachgedreht ist eine bemerkenswerte Darstellung des leitenden Vollzugsbeamten Horst Bubeck durch Moritz Führmann, dem eigentlichen Hauptdarsteller.
In der zeitlichen Chronologie folgt der Film auf „Der Baader-Meinhof Komplex“ von 2006, auch damals nach einem Drehbuch von Stefans Aust, allerdings mit dem „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“-Regisseur Uli Edel.
Der Blick auf Meinhof, Ensslin, Baader ist jetzt anderer, der Glamour hat sich verflüchtigt, geblieben sind recht elende Gestalten. Eine eher blasse Ulrike Meinhof (Tatiana Nekrasov) wird in der Gruppe wegen ihrer Villa-in-Blakenese-Herkunft gemobbt, das Sagen hat Gudrun Ensslin (Lilith Stangenberg), in all ihrer Überheblichkeit und Unberechenbarkeit – und in der TV-Format sprengenden Ultra-Präsenz, die ihr Stangenberg verleiht.
Gerne sieht man den beiden Frauen zu, wenn sie sich von „den Bullen“ nicht anfassen lassen, sie „Schweine“ und „pigs“ nennen – es erwachen Erinnerungen an das totale NEIN, die aggressive „Du Schwein“-Totalabgrenzung, wie es sie heute nicht mehr gibt. Heute gelten Marketing-Strategien als „disruptiv“ (zerstörerisch), linke Politik will mit Argumenten auftreten, Wut und Aggression kommt nur noch untereinander vor.

Wie jedes Unterhaltungsprodukt hat auch dieses eine mehr oder weniger verdeckte Agenda. In diesem Fall: Die Haftbedingungen waren gar nicht so schlimm. Gezeigt werden durchwegs fast rührend menschliche Beamte, die rund um die Uhr für „Frau Meinhof“ und „Herrn Bader“ sorgen, ihre Buchbestellungen abwickeln, Plattenspieler zur Reperatur bringen, und wie Bürokuriere von Zelle zu Zelle wieseln, um Mitteilungen zu überbringen. 
Zwar wird die künstliche Ernährung in all ihrer Brutalität gezeigt – jedoch ausgeführt von Beamten, die sich selber dazu zwingen müssen, und mit den Maßnahmen eigentlich nicht übereinstimmen. Der Film unterscheidet sich darin nicht von all den anderen „Tatorten“, die eine Identifikation mit der Polizei erreichen wollen. Der immer mitfühlend-korrekt auftretende leitende Beamte Horst Bubek, verkörpert die „Antithese zum  folternden Staat“, wie die „taz“ die Botschaft des Films beschrieb. Die in der ARD dokumentierte Zuseher-Resonanz geht in die Richtung, wie „erschütternd“  der gezeigte Umgang mit den Polizisten sei, „so etwas hätte es in einem DDR-Gefängnis nicht gegeben.“

Die RAF-Leute werden unpolitisch gezeigt

Die Haltung der Häftlinge wird pathologisiert, letztlich als individueller, absolut unpolitischer Irrsinn gezeigt, er nur noch um sich selbst kreist. Was in diesem im Original-Stammheim-Gefängnis gedrehten Kammerspiel „politisch“ geredet wird, ist erbärmlich und fast lächerlich   – verstärkt wird dieser Eindruck durch die kultivierte Aussprache der erstklassigen Schauspieler.
Aust sagt in Interviews zwar, dass die RAF-Leute „im Prinzip nichts anderes wollten als die Linke damals insgesamt“. Was Menschen wie Ensslin oder Bader aber dazu bewegte, den politischen Kampf auf diese Weise aufzunehmen, dafür interessiert sich der Film nicht. Und so ist er kein Beitrag zu einer produktiven „Vergangenheitsbewältigung“, weder für die eine, noch für die andere Seite.
Es braucht eine ganz andere Darstellung,  wenn die unter all dem Medienmüll verschüttete Erfahrung der RAF zugänglich gemacht werden soll, ein RAF-„Tatort“ reicht dazu nicht.

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„Ella“ – Graphic Novel erzählt die Geschichte von Ella Rollnik, die aus dem Leben zurück ins Leben fand

Es ist vielleicht ganz reizvoll, die fast zu gleichen Zeit erschienene Graphic Novel „Ella“ dagegen zu halten, eine Art gezeichneter Autobiographie von Ella Rollnik, die ab 1974 Mitglied der Bewegung 2. Juni war und an verschiedenen Anschlägen beteiligt. Nach 15 Jahren Haft kam sie 1992 frei, ohne je jemanden verraten zu haben, und ist heute ein Vorbild an Resozialisierung, was heißt an Resozialisierung, eigentlich an allem: ein nicht-gebrochener, wohlmeinender Mensch, mit einer klaren politischen Überzeugung, ohne jeden Überzeichnung oder Hysterie.
Nach der Haft hat Ella Rollnik  in Hamburg als Anwaltsgehilfin und als Altenpflegerin gearbeitet, das Kinderhaus in St. Pauli mitgegründet, schließlich ihr 1968 in Bochum und Berlin begonnenes  Studium der Soziologie fortsetzt und abschliesst. Nach einer Ausbildung als Gestalttherapeutin für Kinder- und Jugendliche war sie bis 2021 bei einem freien Träger der Jugend- und Familienhilfe beschäftigt.

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Ella, Seite 28: Die Graphic Novel zeigt, wie das mit der Gewalt anfing

Ella war“typisch“ – der Comic ist eine gute Form, das zu zeigen

Die von Utta Röttgers moderat modern, in jedem Detail gut gelöste und von Michael Weber mit viel Überblick und Verknappungstalent geschriebene Graphic Novel leistet genau das, woran „Stammheim – Zeit des Terrors“ scheitert. Nämlich zu zeigen, wie bruchlos, wie stimmig, aus einer absolut durchschnittlichen, von Nachkriegs-Faschismus und 68er-Aufbruch geprägten Jugend, in Bochum und dann Berlin, eine Entwicklung hin zum bewaffneten Kampf erfolgen konnte. Wie Anschläge und Gewaltakte, und der daraus folgende Überlebenskampf gegen die mit maximaler Wucht zurückschlagende Staatsmacht, etwas waren, das nicht im luftleeren Raum stattfand, sondern, vielen von uns, als adäquat erschien, als Notwehr gegen ein System, das selbst auf strukturelle und faktische Gewalt gebaut war, und das zu demaskieren sich lohnte. Ja!
Ella, wie sie im Comic nur heißt, war jederzeit verbunden, eingebunden in das, was uns viele antrieb und bewegte, bis heute, in gewisser Weise hat sie sich geopfert, während wir im Café nur diskutierten.
Damals wurden wir der „klammheimlichen Sympathie“ verdächtigt oder mit Berufsverbot belegt, nein, klammheimlich war sie nie, das mal auszusprechen, dazu bietet „Ella“ einen sehr freundlichen, menschlichen, lebensbejahenden und zukunftsorientierten Anstoß.

„Stammheim – Zeit des Terrors“, Dokudrama
Eine Produktion von Spiegel TV im Auftrag von SWR (Federführung), NDR und rbb für die ARD.Bereits ab 17. Mai 2025 in der ARD Mediathek
Im Dokudrama, das auf einem Drehbuch von Stefan Aust und Niki Stein beruht, spielen Lilith Stangenberg (Gudrun Ensslin), Henning Flüsloh (Andreas Baader), Tatiana Nekrasov (Ulrike Meinhof) sowie Rafael Stachowiak (Jan-Carl Raspe) die vier Hauptinhaftierten. In weiteren Rollen sind u.a. Moritz Führmann (Horst Bubeck), Heino Ferch (BKA-Beamter Alfred Klaus) und Hans-Jochen Wagner (Vorsitzender des Untersuchungsausschusses) zu sehen.

„Ella – nichts haben, alles ändern“, Graphic Novel
Herausgegeben von Galerie der abseitigen Künste
Illustriert von ZAZA Uta Röttgers, geschrieben von Michael Weber anhand der Erzählungen Ella Rollniks, einst Mitgleid der Bewegung 2. Juni
212 Seiten, Hardcover, Hamburg, 2025, Preis € 28.00

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