Henry Grotkasten: Komm zurück, Klaus

Klaus Lederer kommt am Tag nach der Bundestagswahl (24. Februar) in den ROTEN SALON HAMBURG. Er war einer der profiliertesten und bekanntesten Politiker der Partei „Die Linke“, bevor er im November 2024 seine Partei verließ. Am 24.02. wird dann auch klar sein, ob die „Linke“ „drin“ ist oder nicht – im Moment stehen die Chancen gut. Was bedeutet das für Lederer? Was für seinen Auftritt in Hamburg? Autor und ROTER SALON-Mitarbeiter Henry Grotkasten bittet ihn in einem Offenen Brief, zurückzugehen in die Partei. Doch der Reihe nach

Zum Austritt Lederers berichtete der Rundfunk Berlin Brandenburg (rbb):
23. Oktober 2024. Der ehemalige Berliner Kultursenator Klaus Lederer verlässt gemeinsam mit anderen Berliner Spitzenpolitiker*innen aufgrund unüberbrückbarer Differenzen die Partie Die Linke.
In einem gemeinsam auf X/Twitter veröffentlichten Statement benennen Klaus Lederer, der ehemalige Fraktionschef Carsten Schatz, der haushaltspolitische Sprecher der Fraktion im Abgeordnetenhaus Sebastian Schlüsselburg, Ex-Bausenator Sebastian Scheel sowie die ehemalige Sozialsenatorin Elke Breitenbach insbesondere die „klare Positionierung zum Antisemitismus“ und die „Frage der Solidarität mit der Ukraine“ als Streitpunkte.
In beiden Fragen war es auf dem jüngsten Landesparteitag der Linken zu heftigen Debatten kommen. Nachdem es zu keiner Einigung über einen Antrag zur Ablehnung von Antisemitismus, der Judenhass aus dem linken Spektrum thematisierte, gekommen war, verließen prominente Deligierte wie Lederer und die Bundestagsabgeordnete Petra Pau, die Versammlung, wie der rbb berichtete.
In ihrem Statement zum Parteiaustritt kritisieren die Politiker die Diskussionskultur in der Partei, in der Differenzen in der Sache „stärker denn je – auch über die sozialen Netzwerke – personalisiert ausgetragen und zu ‚Machtkämpfen‘ erklärt“ würden.
Die Gruppe um Lederer, die ihre Abgeordnetenhaus-Mandate behält, erklärt sich bereit, weiterhin „auf Grundlage des von uns getragenen Wahlprogramms als Mitglieder in der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus mitzuarbeiten“.
Klaus Lederer, geboren 1974 in Schwerin, war ab 2016 Kultursenator im Rot-Rot-Grünen Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller und ab 2021 auch im Senat von Franziska Giffey, bevor dieser durch Neuwahlen 2023 aufgelöst wurde (hier seine programmatischen Interviews auf nachtkritik.de 2017 und 2021).
Die Linke ist nach der Abspaltung und Gründung des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) im September 2023 auf Landes- wie Bundesebene in einem Selbstfindungsprozess. Die zuvor an mehreren ostdeutschen Landesregierungen beteiligte Partei musste jüngst Wahlniederlagen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg einstecken, während das BSW aus dem Stand zweistellige Ergebnisse einfuhr.  (x.com / rbb.de / chr)

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Klaus Lederer, Kultursenator und Politiker der „Linken“ in Berlin

Kurz vor der Bundestagswahl am 23.02. lässt sich sagen, der Zulauf zur Partei „Die Linke“ hat sich deutlich erhöht. In allen Umfragen zur Wahlabsicht liegt sie momentan über fünf Prozent, der Wiedereinzug in den Bundestag erscheint wahrscheinlich. Auch die Mitgliederzahl ist zuletzt stark angestiegen, auf 75.000, fast so viel wie zu ihrer Gründung 2007. Als Ursachen gelten eine erfolgreiche Haustürkampagne („80.000 Türen, 8.000 Zusagen“, taz), sowie ein reichweitenstarker Socialmedia-Auftritt. Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek („Ich hatte immer schon eine grosse Fresse“, SZ) gilt als echter „Tik Tok-Star“, generiert Millionen Klicks. Veranstaltungen mit ihr, wie zuletzt in Hamburg, müssen geschlossen wegen zu hohen Andrangs. So kommen Stimmen von Erstwählern zusammen. Wann, so ließe sich rhetorisch fragen, gab es sowas zuletzt in der linken Politik?

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Weini an Bieri: Die Linke bei Tik-Tok vor der AfD

Vergleichsweise ruhig ist es um Klaus Lederer, obwohl er, in derselben „Linken“, hohe Partei- und politische Ämter inne hatte. Wer sein Buch liest – „Mit Links die Welt retten“, um das es im ROTEN SALON am 24.02. geht – kann sich selbst überzeugen, dass Lederer einer der im Überblick stärksten und politisch versiertesten Köpfe ist, über die die Partei je verfügt hat. Als has been ist er heute in einer nicht einfachen Situation, weil Ratschläge von „Ehemaligen“ oft ungebeten bleiben oder als Ausdruck gekränkter Eitelkeit gelten. Souverän hält sich Leder zurück, wenn es zu dem inhaltlich eher dürren Angebot der Partei auch sicher einiges zu sagen gäbe. Nicht richtig deutlich ist auch geworden, wie mit den für den Austritt Lederers ausschlaggebenden Differenzen zu den Themen „Antisemitismus in der Linken“ und „Ukraine“ inzwischen umgegangen wird.
Der ROTE SALON mit Klaus Lederer findet am Tag nach der Bundestagswahl statt – zu einem Zeitpunkt, wenn klar sein wird, ob die „Linke“ „drin“ ist, oder nicht. Der Unterschied ist von besonders hoher Bedeutung, weil er entscheidend sein kann für eine Mehrheit „links von der Mitte“, also unter Ausschluss von CDU und FDP. Klaus Lederer hat bei der Anbahnung des
ROTEN SALON geäußert, sich in der Veranstaltung auf das Buch konzentrieren zu wollen, eine Bitte, der wir im Prinzip gerne nachkommen,  im Prinzip … Es ist schwer vorherzusehen, wie die Stimmung am „Tag danach“ sein wird. Und wie sich alles für Klaus Lederer anfühlen wird.

Wer Lederers Buch, in dem der Politiker und Politikwissenschafter sein politisches Bekenntnis erklärt (was die Stärke und die Schwäche des Buchs zugleich ist), gut, vielleicht sogar begeisternd findet, kann leicht auf die Idee verfallen, dass Klaus Lederer „seiner“ Partei auf ihrem weiteren Weg nützlich sein kann, ev. auch seinem Vorteil, denn eine andere Partei scheint sich für den Vollblut-Politiker auch nicht anzubieten. Und wir alle müssten interessiert daran sein, Lederer in der Politik zu behalten, denn es gibt da bekanntlich einen schlimmen Mangel an hervorragenden linken Köpfen.
So ist es sicher nicht nur die Idee des ROTER SALON-Mitarbeiters Henry Grotkasten, bei Klaus Lederer anzufragen, ob er in die Partei wieder eintreten will – und nicht nur in der Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus mitarbeiten.  M.H.

Offener Brief an Klaus Lederer

Lieber Klaus,

ich habe Dein Buch »Mit Links die Welt retten« gelesen. Ich brauchte es mir nicht vornehmen, der Titel drängt sich in diesen Tagen einem Menschen mit politisch linkem Bewusstsein aus schierer Neugier auf das Wie auf. – Verzweifelter liesse sich die Frage noch formulieren: »Was will ich eigentlich retten?«. – Wunderbar führst Du dazu eigene Erfahrungen, Motive, Einsichten und Erkenntnisse aus Deiner politischen Laufbahn auf, die ich nachvollziehen oder zumindest verstehen kann. Das Lesen Deines Buches ist damit auch eine Bestandsaufnahme. Was ist aus der Zeit der Wende zu lernen? Wie können wir heute Marx lesen? Und: wie kann das ganz Große angegangen werden? Das zukünftige Leben auf einer Welt deren Ressourcen endlich sind?
Über das Buch nachzudenken ist für mich gegenwärtiges Denken und aktuelle politische Auseinandersetzung. Noch immer ist der russische Angriffskrieg in der Ukraine aktiv, der (noch immer) vom politischen Europa eine klare Haltung verlangt. Seit Januar 2025 wütet der neue US-Präsident mit Dekreten im Oval Office, strebt nach ‚Deals‘ und nicht nach einem gemeinsamen Zusammenleben. Am 23.02.2025 ist die vorgezogene Bundestagswahl, einen Tag bevor wir uns treffen. Diese Wahl ist denkwürdig, schon jetzt zeigt sich ein massives Erstarken faschistischer Positionen. Es gibt Menschen in Deutschland, die davor eine reale Angst empfinden. Die Partei ›Die LINKE‹ kämpft um ihr Überleben und liefert, Stand heute, ein erfolgreiches ‚Comeback‘ – wer wird die Partei jedoch über die Wahl hinaus sein? In Wochen, Monaten und Jahren?
Bei so vielen Sätzen und Absätzen Deines Buches nicke ich mit dem Kopf und denke: »Ja, absolut richtig!« und denke gleich im nächsten Satz »Nur, wie lässt sich dies in Mehrheiten verwandeln?«, in die Köpfe derer pflanzen, die mit Hass und Angst statt mit Verstand ihr Kreuz bei den Wahlen machen wollen. Und in die Köpfe derer pflanzen, deren sozialdemokratische Überzeugungen viel zu weit nach rechts gedriftet sind? – Manchmal denke ich in diesen Tagen, ob ein Wiedereintritt von Dir in die Partei Die LINKE nicht schön wäre. Mit »Mit Links die Welt retten« scheinst Du neben dem politischen auch ein persönliches Kapitel abgeschlossen zu haben – folgt darauf ein weiteres oder eine gänzlich neue Geschichte?

Herzlich, Henry Grotkasten
Hamburg den 14. Februar 2025

Henry Grotkasten lebt als Autor in Hamburg, ist Mitglied der Partei „Die Linke“ und der MASCH (Marxistische Abendschule Hamburg) sowie Mitarbeiter des ROTEN SALON

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Lisa Poettinger, Kapitalismus-Kritikerin darf nicht Lehrerin werden in Bayern



Berufsverbot gegen Lisa Poettinger sofort aufheben

Konkrete politische Forderungen als Überschriften sind selten in diesem Blog. Diesmal aber scheint es angebracht, klare Kante zu zeigen. Das Berufsverbot in Bayern gegen die angehende Lehrerin Lisa Poettinger ist in seiner Begründung, dass Kapitalismuskritik die Verfassung verletzt, skandalös und betrifft uns alle. Sich vernetzen mit Poettinger kann man auf X unter @lisapoettinger

Der Kapitalismus ist nicht Schutzgut der Verfassung, auch nicht in der Bayerischen Landesverfassung

Auszug aus taz online, 11.02.25:
Berlin taz | Die Klimaaktivistin Lisa Poettinger wird nun auch offiziell nicht zum Referendariat in Bayern zugelassen. Das geht aus einem Schreiben des bayerischen Bildungsministeriums hervor, das Poettinger am Dienstag auf dem Kurznachrichtendienst Bluesky gepostet hat.
Schon im November hatte das von Anna Stolz (Freie Wähler) geführte Ministerium Poettinger mitgeteilt, dass es beabsichtige, ihr die Zulassung zum Referendariat zu versagen. Ohne Referendariat allerdings kann die 28-Jährige aber auch nicht Lehrerin werden.
Nun hat sie die Entscheidung auch schwarz auf weiß vorliegen: „Die Zulassung für den Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Gymnasien zum Termin Februar 2025 wird Ihnen untersagt“, heißt es im Bescheid des Ministeriums.
Poettinger hatte im vergangenen Jahr die Demos gegen rechts in München mitorganisiert. Außerdem protestierte sie gegen die Automesse IAA in der Landeshauptstadt und beteiligte sich an der Besetzung des Dorfes Lützerath, als es für den Braunkohleabbau von der Polizei geräumt wurde. Am kommenden Samstag will sie als Rednerin bei den Protesten gegen die Münchner Sicherheitskonferenz auftreten.
In einem Zeitungsinterview hatte sie 2021 die Automesse als ein „Symbol für Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima“ bezeichnet. Das wird Poettinger nun zur Last gelegt. „Nach Mitteilung des Verfassungsschutzes stammt der Begriff ‚Profitmaximierung‘ aus dem Kommunismus und wertet Gewinnstreben in der Wirtschaft ab“, heißt es in einem von Poettinger geposteten Ausschnitt des Ministeriumsbriefs. Auch ihr „Eintreten für den Klassenkampf ist mit dem Eintreten für die freiheitlich demokratische Grundordnung nicht vereinbar“, heißt es an anderer Stelle.

Poettinger kündigt Klage an

Poettinger weist die Einschätzungen des Ministeriums zurück. „Kapitalismus ist nicht Demokratie, Kapitalismus steht nicht in der Verfassung“, schreibt sie auf Bluesky. Das stehe sogar in Artikel 151 der bayerischen Landesverfassung. Dort heißt es: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesonders der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle.“ Sie werde daher bald Klage gegen das Berufsverbot einreichen.
Mehr als 4.000 Un­ter­stüt­ze­r:in­nen haben auf einer Webseite nach eigenen Angaben bereits ihre Solidarität mit Poettinger erklärt.

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