Falsche Gefühle

Stephanie Bart und Else Laudan am Montag im ROTEN SALON HAMBURG – das war voll und toll. Großen Dank an alle!  Trotzdem blieb viel Ungeklärtes stehen. Was könnte es sein?

Das war ein guter ROTER SALON. Stephanie Bart hat aus ihren eindrucksvollen Texten in „Erklärung zur Sache“ gelesen und die Stimmung der ersten RAF Zeit, der späten 70er, in den Raum gebeamt, naja, gezaubert.
Das war für die paar wenigen Jungen, die da waren, neu und fremd, und den Älteren war anzusehen, dass sie die detaillierte Schilderung eines Anschlags und seiner Folgen (Heidelberg, 1972) zwar berührte, aber auf eine ratlos machende Art. Was soll das jetzt?

Ein Ausbruch muss vereitelt werden

Wir alle, ich spreche mal für meine Generation, haben noch „was am Laufen“ mit der RAF, aber was?  Der Staat übrigens auch, denn am Tag nach der Veranstaltung ging durch Presse, den früheren RAF-Leuten  Karl-Heinz Dellwo und Günter Sonnenberg werde verboten, die seit einigen Monaten einsitzende „RAF-Rentnerin“ (BILD) Daniela Klette im Knast zu besuchen. Es bestehe die begründete Verdacht, bei Besuchen könnte die Flucht der 66jährigen vorbereiteten werden. Die RAF darf nicht sterben! Seit 35 Jahren nicht, da hat sie sich aufgelöst. Der Staat braucht bis in alle Ewigkeit Feinde, um sein Gewaltmonopol zu legitimieren.
Und mit noch etwas irritierte Stephanie Bart: Ihre „Übersetzung“ der berühmten „Erklärung zur Sache“, des schwer zu lesenden Originals des großen RAF-Selbstverständigungstextes von 1976, macht , auch live vorgetragen, schon nach kurzen Auszügen klar, dass die RAF in ihrer Analyse des Kapitalismus und des Imperialismus damals schon nicht falsch lag – und heute eigentlich auch nicht.

roter salon 2024 07. oktober michael hopp stephanie bart else laudan
ROTER SALON HAMBURG; 7. Oktober 2024: Michael Hopp_Stephanie Bart_Else Laudan. Foto: Simone Scardovelli

Die RAF hat bis heute recht, oder nicht?

Die Umstände auf die sich die „Erklärung“ bezog, haben sich seither nicht groß verändert – eher im Gegenteil, nein, der Kapitalismus ist nicht gezähmt, sondern hat sich im globalen Süden und in der Digitalbranche sogar noch deutlich brutalisiert.
Die Neuaufbereitung der Texte „Erzählung zur Sache“ könnte nun zu einer neuen, vielleicht erstmaligen politischen Rezeption führen – diese Hoffnung äußerte ich noch in der Begrüßung, sah aber schon an den Gesichtern, daß es dazu nicht kommen werde.Welchen politischen Nutzen könnte eine solche Rezeption denn heute haben? Es ist tatsächlich schwer, darauf eine rationale Antwort zu finden.

Rational, das ist das Stichwort. Die RAF war zwar in der Analyse hoch rational, in der Praxis dagegen viel weniger, sonst hätte sie sehen müssen, dass der Krieg, den sie der Bundesrepublik erklärte, von den Klassenkämpfen völlig abgelöst war, die Stadtguerilla nie legitimiert war.
Auch einzelne Repräsentanten  des Systems herauszugreifen und zu ermorden, stieß die Mehrheit der Menschen ab und verkannte, dass der Kapitalismus nicht an Personen hängt, sondern eine Struktur ist, die immer neue Repräsentanten hervorbringt. Und eigentlich bedurfte es auch nicht der Anschläge der RAF um zu erkennen, dass sich der Kapitalismus mit aller Gewalt verteidigt, wenn er sich angegriffen fühlt.

Auch die Linke braucht eine Vergangenheitsbewältigung

Wer wie der MAC im Jahr der „Erklärung“ 21 Jahre alt war + schon damals das Herz, naja, am rechten Fleck  hatte + irgendwie in der Linken unterwegs war = gehörte zur Generation der Sympathisanten. ICH WAR SYMPATHISANT. Was sonst? Und stolz darauf! Geile Zeit. Gar nicht so „klammheimlich“ wie im Text des Göttinger Mescaleros, siehe einen Absatz weiter unten.
Dies heute nicht zu leugnen, sondern anzunehmen und auch zu vertreten, ist ein wichtiger Schritt, jede Generation braucht ihre Vergangenheitsbewältigung. Die RAF ist unsere Geschichte, ja. Die Linke hat heute ein derart indifferentes Verhältnis zu der Zeit und zur den Diskussionen damals, dass Stephanie Barts Buch und der ROTE SALON die Funktion haben könnten, die Sprachlosigkeit zumindest mal kurz zu unterbrechen. Was denkt Ihr eigentlich? Was wollen wir den Kindern und Enkeln erzählen über die Zeit damals und unsere Verantwortung?

„Unser Weg zum Sozialismus kann nicht mit Leichen gepflastert sein“

In seinem Pamphlet Buback – ein Nachruf, das am 25. April 1977 in der Zeitung des AStA der Universität Göttingen, den Göttinger Nachrichten, veröffentlicht wurde, schildert der Göttinger Mescalero zunächst seine spontane Freude über den Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback durch die RAF:

„Meine unmittelbare Reaktion, meine ‚Betroffenheit‘ nach dem Abschuß von Buback ist schnell geschildert: Ich konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen. Ich habe diesen Typ oft hetzen hören. Ich weiß, daß er bei der Verfolgung, Kriminalisierung, Folterung von Linken eine herausragende Rolle spielte.“

In einem von den Medien nicht zitierten teil, schränkt er ein:

„Unser Zweck, eine Gesellschaft ohne Terror und Gewalt (wenn auch nicht ohne Aggression und Militanz), […] dieser Zweck heiligt eben nicht jedes Mittel, sondern nur manches. Unser Weg zum Sozialismus (wegen mir: Anarchie) kann nicht mit Leichen gepflastert werden. […] Einen Begriff und eine Praxis zu entfalten von Gewalt/Militanz, die fröhlich sind und den Segen der beteiligten Massen haben, das ist (zum praktischen Ende gewendet) unsere Tagesaufgabe.“

Der Schreiber nannte sich „Stadtindianer“ und unterzeichnete das Pamphlet mit „Mescalero“, dem Namen eines Apachenstamms. Er gab sich als Mitglied der Bewegung Undogmatischer Frühling zu erkennen, die damals mit der „Sozialistischen Bündnisliste“ den Göttinger AStA stellte

Was uns mit der RAF verbindet ist eher ein Gefühl

Was uns mit der RAF verbindet, ist wahrscheinlich eher ein Gefühl, eine Romantik, eine Heldenverehrung, heute vielleicht eine Trauer um die verlorene Jugend, die verlorene Radikalität, kitschiges Zeug, teilweise schon karamellisiert als Popkultur, wie der denunziante, aber emotional starke RAF Film des „Wir Kindern vom Bahnhof Zoo“-Regisseurs Uli Edel („Der Baader Meinhof Komplex“, 2008).
Als Journalistin war Ulrike Meinhof für den jungen Journalisten Michael Hopp ein Vorbild, ist sie heute noch. Was bedeutet es heute, linksradikal zu sein? Diese Frage hat der MAC im Blog schon mal angestoßen und sie hängt auch mit der Vergangenheitsbewältigung der RAF Zeit zusammen.

Nein, wir dürfen nicht auf unseren Bauch hören

Allerdings ist die Zeit gekommen, den Gefühlen zu misstrauen. In ihrem neuen Buch „Explosive Moderne“ setzt sich Eva Illouz* mit der Bedeutung von Emotionen in der Politik auseinander. Heute neigen wir viel zu sehr dazu, Gefühlen zu folgen, bevor wir sie reflektiert haben. Das gefährlichste Gefühl, ist die Furcht, weil sie so stark ist. Auf die neue Rechte anspielend, die ihr Geschäft mit dem Schüren von Ängsten treibt, meint Illouz, „wer die Furcht kontrolliert, kontrolliert die gesamte politische Arena.“  Auch in der Identitätspolitik dominieren Gefühle. Eine wichtige, angeblich entscheidende Wählergruppe, die „Wutbürger“, sind nach einer Emotion benannt.
Gefühl ersetzen heute oft das Denken. Die Psychoanalyse ist völlig missverstanden worden, wenn sie in der schrecklichen Banalitöt verendet, man soll auf sein Bauchgefühl hören, wie es uns seit Jahrzehnten als kindlicher Aufstand gegen eine zwänglerische Vernunft verkauft wird.

Der MAC hat das auch nicht immer so gut verstanden, aber eigentlich gibt uns die Psychoanalyse das Gegenteil auf, nämlich Gefühle genau anzusehen, zu gucken, woher sie kommen (welche gesellschaftlichen Einflüsse auf sie wirken, wie Illouz schreibt) – und sie erst dann „wirken“ zu lassen, oder eben nicht. Wir müssen unsere Gefühle wahrnehmen, dürfen aber nicht ihr Sklave werden. Nein, wir dürfen nicht auf unseren Bauch hören, da ist nur Scheisse drin.

Wie steht die RAF im Rückblick da, ganz unemotional? Naja. Fakt ist, die Klassenkämpfe hat sie nicht befördert, den Kapitalismus nicht geschwächt. Vielleicht das nächste Mal.

*Eva Illouz: Explosive Moderne. Suhrkamp Verlag, Berlin 2024, 447 Seiten, 32 Euro

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