Das Märchen von den „guten“ und „bösen“ Medien

Als es bei Medienkritik noch um Leben und Tod ging: 1967 wurde der Student Benno Ohnesorg während einer Anti-Schah-Demonstration von einem Polizisten erschossen. Die Springerzeitungen vertuschten den Mord. Am nächsten Morgen titelte „BILD“: „Studenten drohen: Wir schießen zurück.“ Auf Demos hiess es : „“Bild“ hat mitgeschossen! „Bild“ hat mitgeschossen!“  Als im April 1968 Rudi Dutschke in Berlin angeschossen wurde, forderten Theodor W. Adorno, Heinrich Böll, Alexander Mitscherlich und andere, endlich mit „der Verunglimpfung demokratisch engagierter Studenten und Intellektueller“ aufzuhören. Das war der Beginn der Studentenrevolte – und der Medienkritik.  Einige Jahre später erklärte Günter Wallraff, der unerkannt bei „Bild“ recherchiert hatte:
„Das hat alles nichts mehr mit Journalismus zu tun. Das ist, ich würde sagen, kriminelles Treiben. Ich hatte überhaupt manchmal den Eindruck bei „Bild“, ich war nicht in einer Zeitungsredaktion, ich war in einem mafiaähnlichen, männerbündlerischen Geheimbund.“

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Zur Einstimmung auf den ROTEN SALON „Medienkritik muss links sein“ am 4.11.24 in Hamburg: Autor und Gast Lukas Meisner im Interview über seine Motive, das Buch zu schreiben:

Michael Hopp: Seit Günter Wallraff ist Medienkritik für mich ein lebenslanges Thema, zuletzt habe ich mit den Veranstaltungen des BLATTKRITIK SALON hier in Hamburg dazu auch praktisch was beigetragen – und jetzt ganz sicher mit Dir, Lukas, als Gast im ROTEN SALON am 4. 11.  Freue mich, daß Du kommst!
Für mich ist Medienkritik immer, zu gucken, was machen die einzelnen Medien, wem gehören sie, was sind die Interessen.
Und da sehe ich große Unterschiede. Du dagegen gehst im Buch eher pauschal mit den Medien um, das sind FAZ  und taz nur einen Buchstaben entfernt … Was ist eigentlich dein Begriff von Medien und Medienkritik?

Lukas Meisner: Ich verstehe absolut, daß man die taz, wenn man auf die Gründundgsjahre blickt, als linkes Blatt behandelt – ich sehe aber auch, dass sie sich sehr weg bewegt hat davon.  Ich glaube daß die taz heute ein tendenziell linksliberales Blatt ist, das von einer gutverdienenden grünen Mittelschicht gelesen wird. So wie die Grünen auch nicht mehr  ihren Gründungsidee entsprechen sondern,  mehr oder weniger am gegenteiligen Ende angekommen sind.

Natürlich ist die taz genossenschaftlich organisiert, es stehen keine Investoren oder Kapitalgesellschaften dahinter. Das konnte aber den starken Rechtsruck während der letzten 30 Jahre nicht verhindern. Ich versuche,  das mit  hegemonietheoretischen Begriffen zu fassen, wie dem Begriff des Neoliberalismus oder dem des Antikommunismus.

Trotzdem, kann man einen öffentlichen-rechten Rundfunk mit der Bild-Zeitung vergleichen? Und Social Media funktioniert nochmal nach ganz anderen Gesetzen. Alles „Medien“?

Das Buch hat zwei Teile. Wenn man sagt, Medienkritik muss links sein, muss man erstmal sagen, was ist links heute – denn da gab es eine große Verwirrung in den letzten 50 Jahren. Und eigentlich zeigt erst der zweite Teil, wir Medienkritik und Kapitalismuskritik verbunden sind.

Ich habe mich auf Zeitungen konzentriert und mir andererseits angeschaut, welche Rolle spielen die sozialen Medien. Der klassische Tenor  von Leitmedien-Seite ist ja, wir hätten auf der einen Seite Qualitätsmedien und auf der anderen verschwurbelte, alternative Fakes. Also „gute“ Medien, und „böse“. Und das ist für mich eine schlimme Vereinfachung. Denn beide hängen zusammen. Die Wut gegen das System, das Aufbegehren von unten, auch das Gefühl von Ohnmacht sind als grudsätzlich gerechtfertigt anzuerkennen. Ihre Instrumentalisierung und weitere Befeuerung mit ihren „bösen“ Medien durch die Rechte funktioniert nur, weil sie von den „guten“ Medien ignoriert werden. In Wahrheit erzeugen die „guten“ Medien die „bösen“, die „bösen“ sind ihr Schatten.

Im grossen und ganzen sagst Du, „die Medien“ verhindern, dass sich die Menschen vom Kapitalismus abwenden?

Ja, die ideologischen Vorstellungen in den Köpfen der Menschen fallen nicht vom Himmel, sondern sind sehr stark von Medien vermittelt. Das ist eine ganz typische Funktionsweise in der bürgerlichen Gesellschaft. Und war übrigens auch der Grund, warum Karl Marx erst einmal in der Rheinischen Zeitung gearbeitet hat, um  zunächst da was zu verändern. Die wurde dann entsprechend zensiert und verboten und er musste ins Exil.

Die Rolle von Medien als Ideologieproduzenten steht im Mittelpunkt meiner Arbeit – und nicht so sehr, wem gehört dieses oder jenes Medium. Klar sehe ich in den „guten“ Medien bestimmte Hegemonien wirken, die durch politische Ökonomie vermittelt sind: wie sicher kann sich da ein Journalist fühlen, welche Veränderungen gibt es in dem Berufsfeld.. Das sind auf jeden Fall Bedingungen, die eine entscheidende Rolle spielen – ich glaube aber, dazu ist schon sehr viel gesagt ist. Und deshalb habe ich reingezoomt in die ideologiekritischen Fragen, die kaum gestellt werden.

lukas meisner jacobin, medienkritik 99 zu eins
Autor Lukas Meisner bricht. mit dem Schweigen der Linken, die sich die Medienkritik und Kompetenz von der Rechten zurückholen muss

Warum haben die Linken heute kaum noch Medien, um dagegenzuhalten?  Wie ist das Ungleichgewicht entstanden? Kommt man da nicht wieder auf die Eigentumsverhältnisse?

Bei den Alternativmedien wie dem Internet stand am Anfang die Hoffnung, dass sich damit  die demokratische  Zivilgesellschaft zur Wehr setzt gegen die großen Gatekeeper des privaten Kapitals, die bisher den Markt unter sich aufgeteilt hatten. Und da hat man eben gesehen, dass es nicht so war. Dass Kapitalismus eben nicht nur ein Eigentumsverhältnis bezeichnet – die sind,  zentral und am Ende immer die Basis – sondern auch eine Vergesellschaftungsweise, eine Form, wie Subjekte produziert werden.

Wenn sich selbst in genossenschaftlich produzierten Medien und in eigentlich frei zugänglichen Kanälen wie Internet, Social Media, Blogs, Podcasts trotzdem eine bestimmte Art von Ideologie und Hegemonie durchsetzt, obwohl kein unmittelbarer Geldgeber dahintersteckt, dem es genügen muss … dann sieht man die Macht der Ideologie in den Köpfen.

Hätte das Internet auch links werden können? Es ist ja keine Gründung der Rechten …

Weiß ich nicht. Die ersten Finanzierungen der großen  Supercomputer kam auf dem Military Industrial Complex. Das Internet war ursprünglich ein militärisches Projekt. Natürlich, Silicon Valley stand stark unter 68er-und Hippie-Einfluss, der Whole Earth Katalog, DIY in der Garage. Aber das war im Grunde nichts anderes als der neue Geist des Kapitalismus. 
Der Kapitalismus tritt heute nicht mehr wie in den 50er Jahren auf. Er tritt als Alternative auf, die sich „disruptiv“ durchsetzt.
Die kalifornische Ideologie brachte Leute wie Steve Job hervor, die dann riesengross wurden und de facto, die ganze Weise wie wir Politik und Ökonomie denken, verändert haben – nur halt nicht zum Besseren, sondern es gab Kommodifizierung und Kommerzialisierung von allen Bereichen.

Mit Google Maps hat man die gesamte Landkarte kartographiert, obwohl es genug zivilrechtliche Organisationen gab, die gesagt haben, das könnt ihr doch nicht machen, ihr könnte nicht mein ganzes Haus abbilden – es hat alles nicht geholfen.  Die Firmen im Silicon Valley gehen so schnell und disruptiv vor, dass sich niemand wehren kann, auch Staaten nicht.

Bedienst du mit diesen Thesen nicht eine Technologiefeindlichkeit, unter der die Linke ohnehin schon leidet und die sie immer weiter marginalisiert?

Ich sage das, weil ich nicht glaube, dass Technologien etwas Neutrales sind. Es ist ein Unterschied, ob eine Technologie im Kapitalismus oder im Sozialismus eingesetzt wird.  Kapitalismus wird jede Technologie, die erfolgreich ist, dem Profitziel unterwerfen und die Personen, die sie herstellen, ausbeuten. Man sehe sich nur die Übergewinne dieser Unternehmen an.
Ich halte gar nichts von einem Techno-Optimismus, ich halte auch nichts von einem Techno-Pessimismus – ich glaube nur, dass wir uns die Frage stellen müssen, von wem und unter welchen Gesetzmässigkeiten und mit welchen Zielen neue Technologien entwickelt werden sollen.

Und klar kann man Messenger Apps auch progressiv verwenden, siehe Arabischer Frühling. Und die Planungsdebatte.  Man könnte heute mit all den Algorithmen ganz anders darüber diskutieren, wie ein Sozialismus zu planen wäre, wie man diese Technologien progressiv verwenden und weiter entwickeln könnte. Nicht nur fürs Shopping.
Es geht nicht um Maschinenstürmerei – aber es kann auch nicht darum gehen, dass Silicon Valley Dinge entwickelt und die gesamte Welt muss darauf reagieren. Es gibt keine soziale oder demokratische Kontrolle, genauso wie bei der Genmanipulation. 
Im Grunde sitzen da neofeudale oder neooligarchische Leute, die den Menschen aufdrücken, wie sie telefonieren, wie sie ihre Häuser gestalten sollen. Ein paar wenige Leute entscheiden sehr viel über unser Leben.

Was heisst das für unsere politische Praxis? Beispiel Social Media, Beispiel TikTok. Ignorieren? Dann werden junge Menschen gar nicht mehr erreicht …

Man kann versuchen, diese Kanäle so progressiv wie möglich zu verwenden. Die AfD verwendet TikiTok und hat einen Riesenerfolg damit. Es wäre fatal, zu denken, wir könnten darauf verzichten oder es aus irgendwelchen Gründen nicht verwenden.
Man muss die Dinge benutzen – aber gleichzeitg die Kritik daran nicht verstummen lassen.

Du willst Mode und Werbung verbieten. Da gehe ich nicht ganz mit. Und freue mich auf unsere Diskussionen im ROTEN SALON!

Differenzen sind gut. Die Linke muss damit klarkommen, dass es auch unterschiedliche Auffassungen gibt. Wir teilen grundsätzliche Ansichten, Antikapitalismus, Emanzipation – und das für alle Menschen, nicht nur eine bestimmte Identität.
Was wir in den Jahren der Partikularisierung vielleicht verlernt haben ist, unterschiedliche Perspektiven und Positionen stark zu argumentieren und zu vertreten – aber dann doch zusammenzukommen und Bündnisse zu schmieden, über die Diffferenzen hinweg.

Lukas Meisner, geboren 1993, studierte Philosophie, Soziologie und Komparatistik in Tübingen, Berlin und London. Anschließend promovierte er zur kritischen Theorie u.a. am Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien. Zur Zeit lehrt er an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht. Neben Büchern publizierte er in Literatur- und Fachzeitschriften sowie Anthologien

Lukas Meisner, Medienkritik ist links – Warum wir eine medienkritische Linke brauchen, Eulenspiegel Verlagsgruppe, 160 Seiten, 12,5 x 21 cm, broschiert, Buch 16,– € ISBN 978-3-360-02758-0

1 Kommentar zu „Das Märchen von den „guten“ und „bösen“ Medien“

  1. Die Aussagen in diesem Interview finde ich noch ein bisschen vage. Ich weiß gar nicht, worüber man da diskutieren soll. Bin gespannt, ob es auf der Veranstaltung konkreter wird!

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