Am Montag (10.03.) kommt Jörg Später mit „Adornos Erben“ in den ROTEN SALON HAMBURG, seiner großen Aufarbeitung der „Kritischen Theorie“ und der Frankfurter Schule, anhand seiner Nachfolger und ihrer jeweils unterschiedlichen Ausrichtungen.
Die Kritische Theorie ist die von Hegel, Marx und Freud inspirierte Denkrichtung, die, sage ich jetzt mal, auf die persönliche Biographie jedes einzelnen hier im Raum, stark eingewirkt hat.
Ohne Karl Marx – und ohne Adorno, Horkheimer, Marcuse, Erich Fromm träfen wir uns hier nicht im ROTEN SALON, ihr Werk bildet in Deutschland bis heute das geistige Fundament nicht nur der Linken, sondern der aufgeklärten Gesellschaft insgesamt.
Man kann vereinfachend sagen, alles, was in Deutschland nicht rechts ist, hat seine geistige Verwurzelung in der Kritischen Theorie.
So wirkmächtig wurde sie, weil sie über die rein ökonomische Analyse hinaus geht und eine umfassende Gesellschaftsanalyse entwirft, die den Zusammenhang zwischen moderner Subjektivität, man könnte auch sagen, subjektiver Vernunft und kapitalistischer Gesellschaftsordnung beleuchtet.
Und sie versucht Antworten zu finden auf die Frage, warum das aufgeklärte Denken, das geprägt war von Vernunft, Wissenschaft und Bildung, das Menschen lehren sollte, selbstständig zu denken, und sich von Traditionen und Autoritären zu lösen, in die Barbarei des Nationalsozialismus umschlagen konnte.
WARUM fragen wir jeden Tag. Und haben keine Antworten
Und da sind wir mitten im Heute angelangt, der Zeit, über die ein einziges riesiges WARUM steht. Warum laufen die Menschen Trump nach? Warum hassen sie Ausländer? Warum wollen sie vom Fortschritt nichts wissen? Warum sind Arbeiter die größte Wählerguppe der AfD? Wo kommen plötzlich all die Nazis her?
Das alles zu erklären zu versuchen, dazu braucht es einen ganzen Werkzeugkasten an Ansätzen, wie wir ihn in der Kritischen Theorie finden und wie er heute vereinzelt auch noch weitergedacht wird.
Am Donnerstag sprach der Wissenschafter und Philosoph Joseph Vogl in einer Veranstaltungsreihe des Hamburger Schauspielhauses davon, dass der moderne Kapitalismus Ressentiments hervorruft, ständige Ausweitungen einer negativen Affektivität, die zu Feindbildern und Demokratiefeindlichkeit führt:
„Der Kapitalismus hat also auch eine emotionale und eine soziale Dimension und produziert mit seinen ökonomischen Mechanismen eine Rückwirkung auf die affektive Ausstattung der Menschen – auf das, was man „Sozialaffekte“ nennen könnte. Das Ressentiment – so meine These – ist eine Begleiterscheinung des Kapitalismus, und die Mobilisierung des Ressentiments ist eine Produktivkraft, die den Kapitalismus sowohl dynamisiert als auch stabilisiert“, sagt Joseph Vogl, ein Intellektueller, der sich auch in Bereichen bewegt, wo wissenschaftliches uns literarisches Schreiben nicht mehr unterscheidbar sind – etwas, das auch an vielen Texten der Kritischen Theorie anziehend ist.
Die Linke muss wieder interdisziplinär werden
Sinn des heutigen ROTEN SALON ist es auch, die Idee in Eure Köpfe und Herzen einzupflanzen und Euch am faktischen Beispiel der Frankfurter Schule zu demonstrieren. dass die Linke gerade jetzt und heute den interdisziplinären, umfassenden Ansatz braucht, um wieder mehr Einfluss zu gewinnen.
Links muss mehr sein als Politik, nicht zufällig schrieb Max Horkheimer auch über Musik, brachte die Frankfurter Schule einen Erneuerer der Medien wie Alexander Kluge hervor und einen Dichter wie Hans Magnus Enzensberger, einen Psychoanalytiker wie Erich Fromm.
Heute ist die Linke auch unsexy, weil sie kulturell verarmt ist, teils reaktionär und kunstfeindlich, rückwärtsgewandt. Wenn einer nicht Degenhardt im Nachnamen hat, wird seine Platte nie Abogeschenk bei der „Jungen Welt“, so sehr ich Franz Josef Degenhardt auch mag. Nicht nur Kultur – auch das Defizit im Wissen um Forschung, Technologie und Digitalität muss aufgeholt werden.
Klaus Lederer, vor drei Wochen Gast im ROTEN SALON, sagte letzte Woche in einem Interview: „Linke müssen viel stärker im gesellschaftlichen Raum in die Offensive kommen. Die Rechten haben ihren Gramsci gelesen, haben seit langem daran gearbeitet, auf symbolischer Ebene, auf der Ebene der Zeichen und Signale, auf die Weltdeutung der Menschen eingewirkt.“
Lederer hat recht! Was ist die Story, die Weltdeutung der Linken heute? Die Rechte haben eine, sie wollen alles zurückdrehen, weil sie keine Idee von Zukunft haben.
„Denken ist Tun“
Wahrscheinlich müssen wir nochmal in die Bücher schauen. Theorie und Erkenntnis nicht verneinen. „Organische Intellektualität“ entwickeln, wie Lederer ein Wort von Gramsci zitiert. Auch die Partei Die Linke muss jetzt nachsitzen, weil sie eigentlich gar nicht so recht weiss, was sie mit ihrem Wahlerfolg anfangen soll.
Am Schluss sei noch angefügt, dass die MASCH – Marxistische Abendschule – der ich angehöre und die Partner dieser Veranstaltung ist, Lektüregruppen nicht nur zu Marx und seinem Kapital, sondern auch zur kritischen Theorie, zu Adorno, Horkheimer anbietet, die sich in letzter Zeit auch vermehrter Nachfrage erfreuen.
„Denken ist Tun“ war ein Leitspruch der Frankfurter Schule – und wieviel und was damals gedacht wird, die praktisch unlösbare Aufgabe, das kurz und knapp rüberzukriegen liegt jetzt bei Jörg Später, der uns gleich „Adornos Erben“ vorstellen wird, in einem 45 minütigen Vortrag, bevor wir ihm dann Fragen stellen.
Wir Nachgeborene haben den Vorteil aus heutiger Sicht erkennen zu können, wieviel dieses Denken bewirkt hat, wie es gesellschaftliche Realität erzeugt hat. Es gibt viele Adorno Veranstaltungen dieses Jahr, habe ich gesehen – und sie kommen zum richtigen Zeitpunkt: Denn alles, wofür Adorno und am Ende wir auch irgendwie stehen, soll jetzt abgeräumt werden.
Das wird nicht gelingen, aber aufhalten müssen wir es schon selbst.
M.H., Notizen zur Einleitung im ROTEN SALON am 10.03.
Friedrich Merz hört nicht auf, der AfD zuzuarbeiten
Von Volker Weiß
Ein Beispiel für geistige Gegenwehr hier im Blog. Die Bundestagsfraktion der CDU unter Friedrich Merz hat im Sinne der „Linken Spinner“-Bekämpfung eine „kleine Anfrage“ gestellt, die frontal gegen die soeben noch beschworene „Bürgergesellschaft“ geht. Die Anfrage geht dahin, ob Vereine wie „Omas gegen rechts“ öffentliche Gelder erhalten haben und gegen die damit verbundene Verpflchtung zur „parteipolitischen Neutralität“ verstossen.
Die CDU selbst aber verschiebt Millionen in ihre rechten Netzwerke, wie der Rechtsextremismus-Forscher Volker Weiß erinnert
Die Unionsfraktion im Bundestag sorgt sich in einer Kleinen Anfrage um die „parteipolitische Neutralität staatlich geförderter Institutionen“, wobei „klein“ hier lediglich den Charakter des parlamentarischen Kontrollmittels bezeichnet. Der Umfang war in diesem Fall nämlich etwas größer: Auf 32 Seiten listet das von den Vorsitzenden der CDU CSU-Fraktion Friedrich Merz und Alexander Dobrindt unterzeichnete Papier 551 Einzelfragen auf, die sich um die Frage der „politischen Neutralität“ von Vereinen drehen.
Das Ganze atmet unverkennbar einen Hauch Viktor Orban
Allerdings geht es nicht um irgendwelche Zusammenschlüsse, die Auswahl macht deutlich, welche den Verfassern ein Dorn im Auge sind. So geht es zunächst um Gruppen, die bei den Protesten gegen die migrationspolitischen Anbiederungen der Union an die AfD federführend waren oder sich in der Vergangenheit besonders um Aufklärung über die extreme Rechte bemüht haben: Campact, Correctiv, das Netzwerk Recherche, die „Omas gegen Rechts“ und die Amadeu-Antonio-Stiftung. Von besonderem Interesse sind für die Fragesteller Auskünfte über Förderungen durch das Bundesprogramm
„Demokratie leben“, das 2014 während der CDU-geführten großen Koalition ins Leben gerufen worden war. Offensichtlich will die CDU heute von ihrer einstigen Unterstützung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten nichts mehr wissen. Selbst NGO-Dinosaurier wie Attac, Greenpeace und der BUND sollen auf ihre politische Neutralität hin bewertet wer-den. Das Ganze atmet unverkennbar einen Hauch Viktor Orbán.
Zur Begründung beruft sich die CDU-Anfrage auf einen Bericht der Tageszeitung Welt, den sie paraphrasiert: „Manche Stimmen sehen in den NGOs eine Schattenstruktur, die mit staatlichen Geldern indirekt Politik betreibt.“ Die angegebene Quelle spricht dabei im Stil der Verschwörungs-ideologen sogar von einem „Deep State“.
Mit diesem Begriff waren ursprünglich einmal Strukturen bezeichnet worden, die sich dem geltenden Recht entziehen und als „Staat im Staat“ im Verborgenen die herrschende Macht absichern, vornehmlich in Form von Geheimdiensten, Wirtschaftskartellen und Paramilitärs. Seit geraumer Zeit wird unter dem ohnehin schon kruden Schlagwort gegen zivilgesellschaftliche Organisationen agitiert, deren Agieren völlig rechtskonform ist. Spätestens mit Donald Trump wurde die Rede vom „Deep State“ ins Repertoire des autoritären Illiberalismus aufgenommen. Nun waren damit nicht mehr antidemokratische Strukturen gemeint, mit deren Hilfe sich mafiöse Gruppen ihren Einfluss sichern, sondern Organisationen, die auf Transparenz und Gleichberechtigung pochten.
Es entbehrte nicht der Ironie, als der neue US-Präsident in seinen ersten Amts-tagen durch die serielle Unterzeichnung von Präsidialerlassen die demokratischen Kontrollorgane der USA außer Gefecht setzte, dieses Vorgehen als Kampf gegen den „Deep State“ bezeichnete. Zugleich holte er seinen Milliardärs-Buddy Elon Musk ins Team, der Trumps Wahl mit Wahlkampfspenden und Gaben an einschlägige Organisationen massiv unterstützt hatte, schuf somit seine eigene „Schattenstruktur“.
Merz zeigt, was die Zivilgesellschaft unter seiner Regierung erwartet
Offenbar findet dieses Vorgehen auf dieser Seite des Atlantiks Bewunderer. Im Zusammenspiel mit dem Musk-begeisterten Hause Springer zeigt Friedrich Merz nun, was die Zivilgesellschaft unter seiner Regierung zu erwarten hat. Mit seinem Vorstoß ist die vom Thüringer AfD-Fraktions-chef Björn Höcke erhobene Forderung nach „Trockenlegung der Zivilgesellschaft“ zum Projekt der kommenden Bundesregierung avanciert. Das bleibt bei den Stichwortgebern nicht unbemerkt, die sächsische AfD hat die CDU-Anfrage sogleich genüsslich für eine eigene adaptiert.Neben der gesamten Machart konnte sie den Satz von der zivilgesellschaftlichen „Schattenstruktur, die mit staatlichen Geldern indirekt Politik betreibt“ , aus dem CDU-Text gleich wörtlich übernehmen.
Das Interesse hinter den Angriffen wird vor allem deutlich, wenn man sie im Gegenschnitt mit den eigenen Praktiken der Antragsteller betrachtet. Schließlich gibt es eine Reihe zivilgesellschaftlicher Organisationen, bei denen CDU/CSU keinerlei Bedenken hinsichtlich parteipolitischer Neutralität formulieren, obwohl, oder besser: weil sie deutlich im parteipolitischen Sinn handeln. Besonders sichtbar zeigte sich dies im traditionellen Nahverhältnis, das die Union zu den Organisationen der Vertriebenen pflegte. Deren Landsmannschaften, Kulturvereine und Sozialwerke genießen meist alle Vorteile der Gemeinnützigkeit und wurden jahrzehntelang üppig mit Bun-des- und Landesmitteln versorgt. Politisch positioniert waren sie immer, spätestens 1970 wurde mit der „neuen Ostpolitik“ der Regierung Brandt die ohnehin schon dünnen Bande der Vertriebenen zur Sozialdemokratie zerschnitten. Gemeinsam mit der CDU demonstrierten sie damals gegen die faktische Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und der DDR, wobei die dabei aufwallende Parole „Brandt an die Wand“ durchaus Zweifel an der Neutralität dieser Veranstaltungen zuließen. Mit ähnlichen Freundlichkeiten wurden noch Jahrzehnte später Bundesinnenminister Otto Schily und die Grünen-Politikerin Antje Vollmer bedacht, als sie auf Treffen der Sudetendeutschen für die europäische Einigung und Aussöhnung mit Osteuropa warben.
Traditionell waren nicht nur die Bindungen der Sudetendeutschen und der CSU besonders eng, auch alle Vorsitzenden des übergeordneten Bundesverbandes der Vertriebenen nach 1970 waren Bundestagsabgeordnete der Unionsparteien – Herbert Czaja (CDU), Fritz Wittmann (CSU), Erika Steinbach (CDU), Bernd Fabritius (CSU) – und agierten in deutschland- beziehungsweise ostpolitischen Fragen hochgradig parteiisch, mitunter regelrecht destruktiv.
Das System beruhte auf gegenseitigem Geben und Nehmen, in dem die Unionsparteien politische Unterstützung und überreichlich staatliche Förderung bereitstellten, dafür im Gegenzug eine zuverlässige Basis hatten.
Demografiebedingt sind heute die fetten Jahre der Vertriebenenverbände vorbei, aber noch im Geschäftsbericht 2023 weist der BdV als gemeinnütziger Verein und „institutioneller Zahlungsempfänger des Bundes“ Zuwendungen der öffentlichen Hand von über 3,5 Millionen Euro aus, darunter direkte Förderungen und Projekt-mittel. Zum Vergleich: Greenpeace und Attac, deren Wirken gerade durch die CDU/CSU skandalisiert wird, verzeichnen im selben Jahr keinerlei Zuschüsse über der Relevanzgrenze von 10 000 Euro.
An die subventionierte deutsche Landwirtschaft wagt sich keiner heran
Noch deutlicher wird die Schlagseite der Anfrage mit Blick auf den Deutschen Bauernverband. Dieser ist ein eingetragener Verein mit einer immensen Reichweite. Seine Lobbyisten wirken in zahlreichen Ausschüssen und Verbänden und setzen die Belange der Landwirtschaft durch. Selbst Politiker, bei denen das Lob der ungehemmten Kräfte des freien Marktes zum täglichen Glaubensbekenntnis zählt, wagen es nicht, Hand an die hochgradig subventionierte deutsche Landwirtschaft zu legen.
Als Berufsverband agiert der Bauernverband nicht parteipolitisch neutral, sondern im Interesse seiner Mitglieder. Der Transparenzinitiative Lobbycontrol gilt er als eine der mächtigsten Lobbyorganisationen der Bundesrepublik, die ihre Aktionsmöglichkeiten wiederholt eindrücklich unter Beweis gestellt hat. Die jährlichen Subventionen für seine Klientel durch EU und Bund werden mit mehr als neun Milliarden angegeben, hinzu kommen Förderungen für landwirtschaftliche Versorgungswerke. Als unmittelbare Zuwendungen erhielt der Verein allein 2023 vom Bund 1,7 Millionen, zudem beantragt der Bauernverband wie auch andere NGOs Projektmittel von Bund und Ländern und erhält weitere Finanzhilfen auf Landesebene und an Unterorganisationen.
Neutral ist er jedoch keineswegs, sondern inhaltlich und personell eng mit den Unionsparteien (und Freien Wählern) verbunden. Angesichts der Pläne zur Streichung von Agrarsubventionen hat der Verband federführend zu den Bauernprotesten gegen die Bundesregierung und vor allem die Grünen mobilisiert. In der Anfrage der CDU/CSU kommt er nicht vor.
Als Reaktion auf den Vorwurf, der AfD zuzuarbeiten und die zivilgesellschaftli-chen Barrieren einzureißen, stellen Merz und Dobrindt also eine Parlamentsanfrage, mit der sie der AfD zuarbeiten und die zivilgesellschaftlichen Barrieren einrei-ßen. In der aktuellen Förderungsphase des angefeindeten „Demokratie leben“-Pro-gramms bezieht derzeit als einzige partei-nahe Stiftung die Adenauer-Stiftung 188000 Euro Projektmittel für eine „Demo-kratie Starterbox“. Vielleicht sollte sie der Fraktionsspitze davon ein Exemplar zukommen lassen?
Volker Weiß, geboren 1972, ist Historiker und freier Publizist Er forscht zu Geschichte und Gegenwart der extremen Rechten in Deutschland sowie zur deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und gilt als einer der profiliertesten Experten für die Neue Rechte. Sein neues Buch „Das Deutsche Demokratische Reich. Wie die extreme Rechte Geschichte und Demokratie zerstört“ ist gerade im Klett-Cotta-Verlag erschienen.
Der Text erschien zuerst in der „Süddeutschen Zeitung“ vom Montag, 3. März, Seite 9