Als Hoffmann und Campe aus dem WIENER die „Tempo“ machte

Otto Meissner, Otto – wer? So haben auch wir beim ROTEN SALON reagiert, als wir das erste Mal den Namen Otto Meissner hörten. Julius Campe, die andere große Verlegerpersönlichkeit dieser Zeit, kennen einige, Otto Meissner ist bisher nur unter Spezialisten bekannt. Selbst jenen unter uns, zu denen ich gehöre, die lange Jahre für den Hamburger Verlag Hoffmann und Campe arbeiteten und vage über dessen Geschichte Bescheid wussten, sagte der Name Otto Meissner bisher nichts. Julius Campe gilt als bedeutendster deutscher Verleger der Aufklärung, der vor allem mit dem teils revolutionären Werk von Heinrich Heine verbunden ist.
Dabei hat der heute weithin unbekannte  Hamburger Verleger Otto Meissner (1819 – 1902) einen durchaus hohen Beitrag zur Weltgeschichte geleistet.  Ohne ihn wäre „Das Kapital“, das große und zentrale Werk von Karl Marx, vielleicht nie in die Welt gekommen – denn es bedurfte noch sehr viel Arbeit bis das teils noch chaotische Manuskript in Form gebracht war. Und viel persönlichen Mut, das große Werk „innerhalb der gesetzlichen Schranken“ des gerade gegründeten „Norddeutschen Bundes“ heraus zu bringen. Anfangs geschah nicht viel und es deutete wenig auf die später Bedeutung dieses Werks hin, dessen zweiter und dritter Band erst nach dem Tod von Karl Marx erschienen.
Jürgen Bönig hat ein großes Geschichtsbuch aufgeschrieben, das höhere Aufmerksamkeit verdient, als die der Spezialisten.  Lange haben wir uns den Kopf zerbrochen, wie eine Veranstaltung wie der ROTE SALON damit angemessen umgehen kann. Was ist daran mehr, als eine Geschichtsstunde? Welche Fragen können wir an die Geschichte stellen? „Lehren“ müssen nicht von heute auf morgen anwendbar sein. Die Technologie ist heute eine grundlegend andere – die Frage nach der Haltung dagegen, ist gleich geblieben.
Im Lichte des Wissens um Otto Meissner und sein politisches Umfeld, zu dem auch Julius Campe gehört, der berühmteste deutsche Verleger der Aufklärung,  und Gründer des heute noch existierenden Hoffmann und Campe Verlages, entsteht vielleicht die Frage, wofür der heutige Verlag steht, der den Namen Campe noch im Titel trägt. War die Gründung der harmlos aufmüpfigen aber doch irgendwie legendären Zeitschrift „Tempo“ in den 80er Jahren (bei der Hoffmann und Campe-Tochter Jahreszeiten-Verlag) ein kurzfristiges Aufflammen der revolutionären Tradition?  Ein Schande jedenfalls, dass selbst die jungen Wilden, die sie machten, der historischen Kontext ihres eigenes Wirkens unbewusst blieb. Er hätte vielleicht einen Riesenanschub gegeben. Um so etwas zu diskutieren, haben wir den heutigen Hoffmann und Campe-Verleger in den ROTEN SALON eingeladen, leider hat er nicht geantwortet.

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Jetzt anmelden zum ROTEN SALON am Montag (30.06.) mit Jürgen Bonig und Otto Meissner – dem Mann, der Marx´ “Kapital“ in die Welt brachte

Ich hatte schon ziemlich einen in der Birne, als ich mich am Freitagnachmittag in der hellen, lichtdurchfluteten Redaktion des Wiener in der Wipplinger Straße vor den Mitarbeitern hinstellte und im Stile eine Volkstribuns verkündete: »Das Einzige, was ich herausgebe, ist meine Nudel beim Brunzen!«, also meinen Penis beim Wasserlassen.
Vor ein paar Tagen wurde ich als Chefredakteur abgesetzt, aber nach Protest im Verlag als »Herausgeber« zurückgeholt, was ich ablehnte. Ich fühlte mich wohl kaltgestellt.
Ich weiß nicht, ob mein bodenständiger Vergleich noch komisch oder schon tragisch wirkte, aber ich denke, die Anspannung und der Bierdusel waren mir anzumerken. Danach zog ich mich mit meinen Getreuen in das jugoslawische Wirtshaus in der Gumpendorfer Straße zurück, aus dem ich schon vor der Versammlung gekommen war.
Die Redaktion des Wiener betrat ich danach nie mehr. Was war passiert? Gerade war ich mit dem Wiener noch der König von Wien. Ich liebte es, in der Nacht, wenn das neue Heft ausgeliefert wurde, durch die Fußgängerzone zwischen Oper und Stephansdom zu spazieren und die frisch gedruckten Hefte an den Ständen der »Kolporteure« zu sehen oder wie sie am Bürgersteig ausgelegt waren.
»Besser als jede Frau« stand im September 1984 am Titel, »Die Männer und ihre Freunde«. Zu sehen waren Falco und sein Freund und Assistent Billy Filanofsky, der Sohn eines reichen Wiener Teppichhändlers, den man an den langen Wiener Nachmittagen immer wieder mal dabeibeobachten konnte, wie er im offenen weißen Porsche Coupé Runden um die Wiener Peterskirche drehte, wie auf der Kinderautobahn im Prater.
Alle paar Wochen hatte ich ein Interview mit Falco in seiner Wohnung in der Schottenfeldgasse, ganz nüchtern waren wir da auch nie. Der Hansi vertraute mir seineSorgen an, dass »am Markt und in der Welt« nicht klar sei, wer er sei, er wisse es ja selber auch nicht. Ob das coole, elegante Image, das ihm die Wiener-Leute Artdirector Lo Breier und Fotograf Gerald Heller mit dem Wiener-Friseur Erich Joham verpasst hätten, das richtige sei? Wirke er da nicht überheblich? Er würde sich lieber verkleiden, wie die Beatles am Sgt. Pepper-Cover, das sei genial. Im nächsten Video, Rock Me Amadeus, tauchte er schon imMozart-Barockkostüm auf.

Der WIENER war die Hausmacht von Falco

Ich hatte den Wiener zum Sprachrohr des »Falken« gemacht und genoss den Glamour dieser Verbindung, der auch ein wenig auf mich abfärbte. Wenn ich freitagnachts im U4 in der Meidlinger Hauptstraße, wo auch Hansi Stammgast war und anschrieb, ein »Also, mir hat der Hansi gesagt« in die schwer verständliche Konversation einflechten konnte, war mir erhöhte Aufmerksamkeit gewiss.
Das U4 war übrigens auch der Club, in dem ich zehn Jahre vorher den eigentlich schon parodistisch coolen »Supermax« Kurt Hauenstein zu seinem Hit Lovemachine interviewt hatte, mit belegter Stimme, es war mein erstes Fernsehinterview.
Und das alles sollte jetzt für mich vorbei sein? Würde mich der Kellner des »Café Sperl« weiterhin mit »Grüß Gott, Herr Chefredakteur« begrüßen? Und die Leute, mit denen ich verabredet war, schon am Eingang identifizieren und mit den Worten »Ich bringe Sie zum Herrn Chefredakteur « zu meinem Tisch ganz hinten, vor den Billard – tischen, geleiten? Was war geschehen? Wieso sollte ich aus dem Himmel fallen?

Es war schon seit einiger Zeit spürbar, mit seiner grellen, lauten, irgendwie aufregenden Art war der Wiener in der deutschen Verlagsszene aufgefallen, und nicht nur dieMacher langweiliger Stadtzeitungen besuchten uns in Wien, um uns danach erstaunlich frech zu kopieren, auch die großen Verlage schickten ihre Emissäre, um zu gucken, was denn da in Wien zu holen wäre. Es war die Zeit, als man noch auf der Suche nach Zeitschriftenkonzepten war, die ein gutes Geschäft versprachen, oder auch nur die Auslastung der Druckereien.
Für den Verlag Ringier hatte sich ein Manfred Bissinger angekündigt, damals Chefredakteur von Natur. Ich kam zu spät zum Termin, mein Co-Chefredakteur Markus Peichl war schon da, ihn interessierten die Gespräche »mit den Deutschen« immer mehr als mich. Ich wollte damals noch auf keinen Fall weg aus Wien und dieser Bissinger war mir egal. Das sollte noch anders werden.
Der Wiener hatte sich zwar in Wien und Österreich zu einem Auflagenerfolg entwickelt, verdiente aber immer
noch kein Geld, was Hans Schmid, den Eigentümer, zunehmend nervös machte. Da Schmid im Hauptberuf mit seiner GGK auch für die Wiener SPÖ warb und sich von kritischen Berichten über Städtebau-Sünden in seinem Wiener nicht das Geschäft verderben lassen wollte, gab es plötzlich Druck auf die Redaktion und schlechte Stimmung.
Nun kamen die Offerten aus Deutschland gerade recht. Mit Ringier wurde es nichts, aber der Heinrich Bauer
Verlag wollte eine Lizenzausgabe machen, und Thomas Ganske gründete am Ende ohne Schmid mit Tempo ein vergleichbares Magazin und warb die halbe Redaktion ab.

Karriere im benachbarten Sprachraum

Wikipedia erinnert sich besser als ich, da heißt es: »Nach der Ablöse von Chefredakteur Michael Hopp (1986, Peichl ging schon 1985) verließen viele Mitarbeiter des Wiener Österreich und machten im benachbarten deutschen Sprachraum Karriere. So zum Beispiel die Redakteure Lukas Lessing, Peter Praschl, Margit Mayer, Christian Seiler, Oliver Herrgesell, Andreas Fischer, Michael Kreissl, Gerald Sturz; die Grafiker und Art-Direktoren Lo Breier, Gottfried Moritz, Judith Grubinger; sowie die Fotografen Paul Schirnhofer und Manfred Klimek.« – Also ein ganzer Schwung, »eine ganze Generation«, sagten wir immer.
Ein Teil der Leute war zur deutschen Version des Wiener gegangen, die vom Heinrich Bauer Verlag in München herausgegeben und von den Wienern beim Wiener verachtetwurde, ein anderer – angeführt von Markus Peichl, meinem Co-Chefredakteur beim Wiener Wiener – machte sich auf nach Hamburg, um da im Jahreszeiten-Verlag das später legendär gewordene Tempo zu starten. Von Markus wird noch zu erzählen sein.

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Wieder Zeit für Prinzen? Erste „Aufreger“-„Tempo“-Ausgabe im Februar 1986

Für das neu zu gründende Heft, den Titel Wiener konntenwir ja nicht nutzen, hatte ich den Namen Prinz vorgeschlagen, am Ende wurde es Tempo und unter dem Titel Prinz wurde ein überregionales Stadtmagazin ge gründet. 1986 war ich Markus nachgefolgt, zur zweiten oder zur dritten Ausgabe von Tempo, was sollte ich noch in Wien, weiter unten in der Jugo-Kneipe sitzen und warten, bis die Kollegen zur Mittagspause runterkamen? Mit dem Wiener-Verleger hatten wir uns heillos zerstritten, Markus galt als »Verräter«, der die Seiten gewechselt hatte, und jetzt auch ich.
Mein Plan war zwar zunächst gewesen, in Wien allein weiterzumachen, es irgendwie auch Markus »zu zeigen«, die Konkurrenz war damals schon spürbar, aber es machte auch keinen Spaß mehr in Wien. Als ich auf Druck der Wiener SPÖein Thema aus dem Heft nehmen sollte, hatte ich die Nase voll, mit Schmid ging es nicht mehr.

Anpfiff am grösseren Spielfeld

Spätabends läutete bei mir zu Hause oft das Telefon, und Markus war auch ein großer Verführer. Was da in Wien passiere, sei in Hamburg undenkbar. Er brauche mich auch in Hamburg, ich hätte die besseren Themen, wir müssten es ja nur so machen, wie wir es in Wien gemacht hätten. Jeden Monat sollte ich ein paar Tage in der Redaktion sein, sonst sollte ich zunächst in Wien bleiben und von da aus arbeiten. Das entsprach auch meinem Wunsch, denn Amelia war gerade geboren, und irgendwie war mir Tempo unheimlich.
Aber die Verlockung, wir beide – aber eben zusammen!– seien am Ende unschlagbar und könnten unser Spiel auf dem viel größeren Spielfeld »Deutschland« wiederholen, war groß. Ich war außerdem immer zu schwach, Nein zu sagen, wenn Markus was wollte.

Tempo war die deutsche Fortschreibung des Wiener, wenn auch unter ganz anderen Voraussetzungen: Während sich der Wiener organisch aus einem bestimmten Segment der Wiener Szene entwickelt hatte und da auch sein Publikum fand, das zudem mit dem darin enthaltenen »Stadtprogramm« einen guten Service erhielt, musste sich Tempo, ähnlich wie es 20 Jahre davor der twen getan hatte, seine Leserschaft erst erfinden, ohne die Verkaufsunterstützung
eines Stadtprogramms.
Es sollten junge Leute in Deutschland sein, die es satthatten, sich von den 68ern bevormunden zu lassen, die aber auch die Bleischwere der Kohl-Ära zum Kotzen fanden. Tempo sollte ihnen die Langeweile vertreiben.
Und es funktionierte: Die 68er waren entsetzt, Die Zeit schrieb vom »Bazillus«, der die Jugend mit der »Zeitgeist- Epidemie« infiziere, von der »Wiener Krankheit«, die »ihren Opfern mit süsslichen Sekreten Augen und Ohren verklebt«. 1988, zum zweijährigen Tempo-Bestehen und 20-jährigen Jubiläum der Studentenbewegung, pöbelte Markus Peichl zurück: »Sie halten das Feuilleton besetzt wie ein verstopftes Klo.«
Die Kritik an Tempo hatte ähnliche Argumente, wie sie auch in Wien gegen den Wiener, der als konsumeristisch und »warenästhetisch« galt, vorgebracht wurden – aber mit mehr Wucht und höherer Vehemenz.

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„Tempo“-Autor Helge Timmerberg las am 24. Juni in Hamburg aus seinem letzten Buch „Bon Voyage“ und erzählte launige Geschichten aus der WIENER-„Tempo“-Zeit: der Hamburger hat beides erlebt. Foto: Stephan Timm

Der junge Hoffmann und Campe-Erbe will mit „Tempo“ ein Zeichen setzen

Markus, den ich in Wien zum Wiener geholt hatte, stieß in Hamburg auf günstige Voraussetzungen: Thomas Ganske, der damals junge Verleger – Vater Kurt war gerade verstorben, der Bruder stand nicht zur Verfügung – hatte vor Kurzem die Verlage des Vaters übernommen, den Buchverlag Hoffmann und Campe und den Jahreszeiten- Verlag für die Zeitschriften. Er hatte dies zunächst eher unwillig getan und wollte mit Tempo ein Zeichen setzen, dem Jahreszeiten-Verlag ein neues, zeitgemäßes Profil geben.
Die neue Ära sollte mit einem Paukenschlag beginnen, der Generationenwechsel sichtbar werden. Der jungeVerleger setzte sich für Tempo ein, vertrat es engagiert und gewährte der Redaktion große Freiräume, inhaltlich wie finanziell, wie es sie vielleicht nachher in der deutschenVerlagsgeschichte nie mehr gab.

Die Redaktion nutzte die Freiräume für politisch spektakuläre, tolle Geschichten, wie das Verteilen einer gefälschten Ausgabe des Neuen Deutschland in Ostberlin, die einen »Glasklar«-Kurs ankündigte und das Regime ernsthaft provozierte, aber auch für menschenverachtenden Unsinn, wenn Helge Timmerberg, ein sonst freundlicher und liebenswerter Mann, für seine Freundin auf Verlagskosten ein Sadomaso-Studio einrichten ließ, um an möglichst authentisches Material für eine Reportage zu kommen.
Mit der Wahrheit nahm es Tempo oft nicht so genau, Markus nicht, ich aber auch nicht, schon beim Wiener nicht – nur dass ich es eher zugab, während Markus sich die Zunge abgebissen hätte, um eine Verfehlung nicht gestehen zu müssen.

Mehr davon:

»Das war es vielleicht, was ich in der Analyse erwerben wollte: eine in die Kindheit zurückreichende, wiedergutmachende Gewissheit, die für feste Planken sorgt. Aber es kam ganz anders.«

»Mann auf der Couch« verknüpft drei Ebenen: Eine Existenz als Mann und Vater. Ein Leben als Journalist in den Zeitströmen der letzten 50 Jahre. Und eine lange Psychoanalyse bei zwei Analytikerinnen, in München und Hamburg. Einen roten Faden bildet der Verlauf der Psychoanalyse, in der alles zur Sprache kommt, der Anfang und die Katastrophe am Ende. Neben all der Erzähl- und Zeitebenen enthält das Buch noch einiges an Originalmaterial, frühe und spätere journalistische Texte von Michael Hopp, Zeit-Dokumente, ein Märchen und sechs Träume.Jetzt bestellen

Michael Hopp: Mann auf der Couch, 656 Seiten Seiten, 20,00 Euro
Design: Christoph Steinegger, ISBN: 978-3-86485-242-8, Hamburg 2021

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