Pop: Die Wahrheit über Kid P.
Gestern abend live im Central Congress

Gereon Krug (lesend), Detlef Diederichsen, Erika Thomalla und Diedrich Diederichsen Donnerstag abend im krachend vollen Central Congress in Hamburg: Lesung und Plauderei zu „Die Wahrheit über Kid P. – Ausgewählte Texte von Andreas Banaski“. Junius Verlag.
Nächste Woche im Blog: Warum wirkte der Pionier des deutschen Pop-Journalismus bei „Tempo“ nur bis zum Archivar? Und warum hatte er 100mal recht damit?
Marxismus: Revolution wie Evolution
Am Montag (28.) beginnt ein wichtiger Lesekurs der MASCH

Im letzten Semester haben wir mehrere Text von Marx zur Theorie der Geschichte gelesen und diskutiert. Dabei hat sich herausgestellt, dass Marx‘ Denken hierzu verschiedene Motive vereint. Marx‘ Ziel ist es gewissermaßen, eine geschichtliche Entwicklung zu beschreiben, die der von Darwin entdeckten natürlichen Evolution entspricht. Während man bei ihm einerseits ein Vertrauen auf den historischen Fortschritt bis hin zum Sozialismus findet, werden andererseits die menschliche Freiheit und die Rolle des Zufalls benannt. An manchen Stellen scheint ein relativ einfaches Schema eines ökonomischen Materialismus vertreten zu werden, während anderswo Politik und Traditionen neben der Ökonomie ihre Bedeutung erhalten.
Die Diskussionen um diese Spannungen sollen nun anhand weiterer Texte vertieft werden. Dabei geht es auch immer darum, die Gedanken von Marx und Engels auf die weitere Geschichte und die Entwicklungen der Gegenwart zu beziehen.
Der Lesekreis richtet sich an alle, die ihr Verständnis der marxschen und marxistischen Geschichtsauffassung vertiefen wollen. Die Vertrautheit mit den Grundzügen der marxschen Theorie ist hilfreich.
Folgende Texte sollen besprochen werden:
Karl Marx: Vorwort von ‚Zur Kritik der Politischen Ökonomie‘ (1859) MEW 13, S. 7-11.
Karl Marx: Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation (1867) MEW 23, S. 741-791.
Karl Marx: Ursprüngliche Akkumulation des Kapitals (1857/58) Grundrisse (der Kritik der Politischen Ökonomie/Sonderband), S. 363-374.
Karl Marx: [Versuch einer Antwort auf den Brief von V.I. Sassulitsch], MEW 19, S. 384-406.
Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats (1884), MEW 21 (Auszüge).
Kontakt: (info@masch-hamburg.de)
Termin: jeden Montag, 19:00 Uhr (Online!)
Erster Termin: 28.04.2025
Der Kurs findet online statt. Bei Interesse bitte Kontakt aufnehmen unter: info@masch-hamburg.de

ROTER SALON: Das Ende des Skandalons der Prostitution?
Auszüge aus dem Nachwort von „Dialektik der Hure“ – in Vorbereitung auf den ROTEN SALON am 5. Mai 2025
Von Theodora Becker
Wäre ihre heutige Realität alles, was die Hure in der bürgerlichen Gesellschaft je gewesen ist, bliebe unerklärlich, wie sie zu einer zentralen Figur der bürgerlichen Kunst und Literatur und der öffentlichen Debatte werden konnte: zum gesellschaftlichen Topos, an dem wesentliche Kategorien der bürgerlichen Gesellschaft verhandelt wurden. Obwohl noch regelmäßig moralisch echauffierte, pseudopolitische Debatten um den staatlichen Umgang mit der Prostitution inszeniert werden und die Prostitution in den Medien zum saisonalen Skandal erhoben wird, kann man konstatieren, dass die Hure als gesellschaftliche Figur aufgehört hat zu existieren.
Als Topos war sie durch die mächtigen lust- und angstvollen Projektionen der bürgerlichen Gesellschaft bestimmt. Heute figuriert sie im öffentlichen Diskurs nur noch als Opfer von Zwangsprostitution oder als Sexdienstleisterin, deren Geschäft kaum noch vom kapitalistischen Alltagsgeschäft zu unterscheiden ist. Schlagzeilen werden allenfalls damit generiert, dass die schlichte und langweilige Normalität der Sexarbeit enthüllt und gezeigt wird, dass auch sie nur ein Job wie jeder andere ist. Das Lustgewerbe hat jedes Geheimnis verloren, es steht längst nicht mehr für eine fremde Welt, in der die Erfüllung unbekannter Sehnsüchte verheißen wird, es verspricht keine Überschreitung der Identität des Subjekts und keine Erlösung mehr von der Verzweiflung der entfremdeten und sinnlosen Arbeit und der durchkapitalisierten Freizeit. Es ist selbst Teil dieser Freizeit, Es ist Sexindustrie geworden wie die Kunst Kulturindustrie: Konsumgut.
Was die Faszination der Hure in der bürgerlichen Gesellschaft ausmachte, war nicht Sex als die Befriedigung eines vermeintlichen Naturbedürfnisses oder als käufliche Dienstleistung, sondern ihre spezifische Erscheinung als eigentümliche, lebendige Ware, die auf ein in der bürgerlichen Gesellschaft uneingelöstes und uneinlösbares Lustversprechen verwies: auf den Reichtum als gesellschaftlich entfaltete Genussfähigkeit des Menschen. Als dieses Bild zog sie die Fantasie der bürgerlichen Gesellschaft in ihren Bann und zugleich deren Wut auf sich, weil sie sich weigerte, sich der Logik des Warentauschs im Verkauf der Arbeitskraft zu unterwerfen. Ihr Beharren auf Autonomie und schenkender Tugend widersprach der protestantischen Logik von Arbeit und Verzicht zur Akkumulation von Kapital. Denn der Kapitalismus kann den Reichtum zwar produzieren, aber dieser kann im Kapitalismus nicht genossen werden:
»Nur soweit der Kapitalist personifiziertes Kapital ist, hat er einen historischen Wert […l. Aber soweit sind auch nicht Gebrauchswert und Genuß, sondern Tauschwert und dessen Vermehrung sein treibendes Motiv. Als Fanatiker der Verwertung des Werts zwingt er rücksichtslos die Menschheit zur Produktion um der Produktion willen, daher zu einer Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte und zur Schöpfung von materiellen Produktionsbedingungen, welche allein die reale Basis einer höheren Gesellschaftsform bilden können, deren Grundprinzip die volle und freie Entwicklung jedes Individuums ist.« (Karl Marx, Das Kapital I., S. 618)
Je länger aber der notwendige Fortschritt durch die Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums durch die Gesellschaft ausbleibt, je gründlicher diese einzig fortschrittliche Perspektive in Vergessenheit gerät, umso weniger produziert der Kapitalismus überhaupt noch Gebrauchswerte. Denn Gebrauchswert ist nicht, »Gegenstand eines x-beliebigen Bedürfnisses« zu sein, »sondern inhaltlich bestimmt«, wie Wolfgang Pohrt in „Theorie des Gebrauchswerts“ scchreibt. Der Gebrauchswert der Dinge, wie er durch das Kapital produziert wurde, ist kein bloßes Naturverhältnis, sondern ein gesellschaftliches. Er geht auf die Befreiung vom Naturzwang und die gesellschaftliche Aneignung des »Reichtums der menschlichen Natur« zurück. Die Hure repräsentierte einmal diesen Gebrauchswert in ihrem uneinlösbaren Versprechen. Sie war die uneigentliche und zugleich ultimative Ware; ihr Gebrauchswert schien konkret und unmittelbar und war zugleich fiktiv, subjektiv, ungreifbar und höchst vermittelt. Die bürgerliche Gesellschaft wollte ihn offiziell nicht dulden, denn er war nicht kapitalistisch produzierbar, aber insgeheim gefiel er den Bürgern doch ganz gut. Die Prostituierte als Massenerscheinung für das Massenpublikum sollte hingegen nur dessen notwendige Bedürfnisse befriedigen. Dazu werden keine autonomen Huren gebraucht, dazu reichen Arbeiterinnen mit einer spezifisch einseitigen Deformation, einem verkäuflichen Körper:»In dem jetzigen System, wenn ein krummer Rücken, eine Verrenkung der Knochen, eine einseitige Ausbildung und Kraftgewinnung gewisser Muskeln etc. dich produktiver (arbeitsfähiger) macht, so ist dein krummer Rücken, deine Verrenkung der Glieder, deine einseitige Muskelbewegung eine produktive Kraft. Wenn deine Geistlosigkeit produktiver ist als deine reiche Geistestätigkeit, so ist deine Geistlosigkeit eine produktive Kraft etc. etc. Wenn ein monotones Geschäft dich fähiger für dasselbe Geschäft macht, so ist die Monotonie eine produktive Kraft. Ist es dem Bourgeois, dem Fabrikanten etwa darum zu tun, daß der Arbeiter alle seine Fähigkeiten entwickle, sein Produktionsvermögen betätige, sich selbst menschlich betätige und darum zugleich das Menschliche betätige?« (Karl Marx, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 3 (1972), S. 440)
Freilich, nach der Form der schlichten fabrikmäßigen Befriedigung ist die Prostitution schwerlich zu organisieren, auch wenn einige verwirrte Reformer es sich so vorstellten. Die Sehnsucht nach Lust und Erlösung ist der (käuflichen) Sexualität nicht so einfach auszutreiben und ganz ohne einen fetischistischen, einzigartigen Glanz kommt die Ware Sexualität nicht aus. Etwas mehr als eine schlichte Verrichtung gehört schon dazu, um den Gebrauchswert zu eliminieren.
Wo der Erwerb eines Großteils der Waren heute kaum noch von deren Gebrauchswert motiviert wird, sondern wesentlich auf ein Lebensgefühl und eine Identität zielt, die sich an bestimmten Produkten und deren Konsum (und der Präsentation dieses Konsums in den »sozialen Medien«) festmachen soll, fügt sich die Prostitution ein, die in Gestalt der Hure immer schon auch die Anziehungskraft eines anderen Lebens mit verkaufte, das sie repräsentierte.
Nur wirken heute nicht mehr die Lebensweise und das Milieu der Huren auf geheimnisvolle Weise anziehend, sondern die modernen Sexdienstleisterinnen präsentieren sich als Expertinnen in sexuellen Techniken und Moden, die ihre Kunden therapeutisch und pädagogisch dabei unterstützen, sich in die neuesten Fetische und technischen Spielzeuge einzuüben und damit auf der Höhe der Zeit zu sein und eine moderne Sexualität zu praktizieren. Das Gros der Prostituierten verrichtet derweil weitgehend geräuschlos seine Arbeit, die im Gegensatz zur medialen Inszenierung und zum gegenwärtigen Stand der Konsumgesellschaft geradezu »hausbacken« wirkt:»menschenfreundlich, anständig und überschaubar«,° wie Volkmar Sigusch immer noch gültig bereits 1983 formulierte. Gestört werden sie dabei weiterhin vor allem durch Polizeirazzien, Ordnungsbehörden, Medienkampagnen und Politiker, die neue Verbote und Regulierungen fordern, um endlich, und diesmal wirklich, dem »System Prostitution« die Grundlage zu entziehen.
Der moralische Skandal der Prostitution, der vom bürgerlichen Feminismus, von christlichen NGOs und konservativen wie inzwischen auch linken Parteien immer wieder inszeniert wird, die die »zerstörte Seele« der Prostituierten durch einen paternalistischen Verbotsstaat vor sexueller Ausbeutung retten und endlich in den Niedriglohnsektor integrieren wollen, ist nur noch der letzte Ausläufer einer Debatte, die einmal im Zentrum der bürgerlichen Öffentlichkeit stand. Die bürgerliche Frauenbewegung verstand die Attraktivität der Hurerei nie. Stellvertretend für alle Frauen sollten die Prostituierten von ihrem »grausamen Schicksal« erlöst werden, sollten die »misshandelten Schwestern« endlich »ehrlich arbeiten« dürfen und unter den Fittichen der bürgerlichen Frauen zu ordentlichen und produktiven Mitgliedern der Gesellschaft erzogen werden. Vom Objekt eines strafenden Staates wurde die Prostituierte zum Objekt fürsorgerischer Sittlichkeits- und Sozialarbeit, die freilich durch polizeiliche Überwachung und Kontrolle ergänzt wurde.
Das seit über hundert Jahren von Abolitionistinnen, Bürgertum und Polizei bemühte Motiv, der Prostitution müsse der »verklärende Schleier« heruntergerissen werden, um ihr »wahres Elend« zu enthüllen, das vorgeblich auf die Befreiung der Prostituierten von Unterdrückung und Ausbeutung zielt, verstärkt heute nur noch deren ohnehin stattfindende Objektifizierung und die grelle Ausleuchtung noch des letzten anachronistisch in rotes Dämmerlicht getauchten Winkels. Der vermeintlich aufklärerische Gestus der Entmystifizierung enthüllt nicht das Wesen oder die Wahrheit der Prostitution, sondern bestätigt nur die Zerstörung der letzten Reste des am Schein haftenden Gebrauchswerts des Lustgewerbes und der letzten Ecken, in denen Zuflucht vor der Totalität des Kapitals gesucht wird.
…
Die Hüter der herrschenden Ordnung treiben noch immer dieselben, mit den Eigenheiten des Lustgewerbes verbundenen markt- und warenlogischen Defizite der Prostitution um wie im vorletzten Jahr-hundert: die potenzielle Unehrlichkeit und Unzuverlässigkeit der Beteiligten, die Unkontrolliertheit und gefährliche Anonymität ihrer Transaktion, die Gefahr der Übertragung von Geschlechtskrankheiten und andere Risiken in Verbindung mit einem solch unheimlich-heimlichen Tauschgeschäft, das die Leiber verwundbar macht und eine intime Verbindung einander fremder Körper bedeutet. Nicht zuletzt stoßen sich die Verfechter von Sicherheit und Ordnung an der öffentlichen Sichtbarkeit der Prostituierten auf den Straßen. Der Unterschied zur im öffentlichen Raum allgegenwärtigen Reklame mit erotisch-sexuellen Anspielungen und Abbildungen besteht in der leiblichen Präsenz der verheißenden, lebendigen Ware. Die Prostituierte wirbt eben nicht für den risiko- und belanglosen Konsum irgendwelcher kapitalistisch produzierter Produkte, sondern für ihre höchstpersönliche Ware, repräsentiert in ihr selbst. Und diese Ware ist gefährlich. Solange es sich nicht nur um eine vorab vereinbarte, vertraglich geregelte sexuelle Dienstleistung handelt, sondern mit ihr die unmittelbare leibliche Begegnung zweier einander fremder Individuen verbunden ist, deren Begehren, Projektionen und Erwartungen dem jeweils anderen unbekannt sind, in der ein unkalkulierbares sexuelles Begehren auf eine unbestimmte Verheißung trifft und die durch den Austausch von Geld zwar reguliert, dadurch aber auch erst in ihrer Unverbindlichkeit ermöglicht wird, beinhaltet die sexuelle Transaktion notwendig ein Moment der Unberechenbarkeit, des Risikos und der potenziellen Grenzüberschreitung, das um den Preis der Lust nicht aus dem Gewerbe eliminiert werden kann.
Die unübersehbare Tendenz zur Integration der Prostitution als sexuelle Dienstleistung in die kapitalistische Normalität darf denn auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie trotz grundsätzlicher Legalität in Deutschland noch immer umfassender als jedes andere Gewerbe mit dem Strafgesetzbuch reglementiert wird – was an sich kein Widerspruch ist – und ihre Legalität zumindest in der öffentlichen Debatte immer wieder zur Disposition steht, vorgeblich wegen grassierender »Rotlichtkriminalität«, die allerdings seit Jahrzehnten rückläufig ist! …
Zugleich hat das Gewerbe heute kaum noch etwas Heimliches, Verbotenes oder Subtiles, es ist ausgeleuchtet, nackt und eindeutig. Auf den Straßen sollen die Prostituierten nicht mehr stehen, aber im Internet sind die nackten, oft gesichtslosen Körper, die Listen mit möglichen Praktiken, die Auswahl an zu verwendenden Gadgets und Spielzeugen so explizit wie pornografisch; der verklärende Schleier ist weg. Prostitution wird der Pornografie immer ähnlicher! Nicht nur durch Zwischenformen wie Live-Shows, Webcam-Sex, Virtual-Reality-Porn, neue Produktlinien »lebensechter« Sexpuppen und womöglich in naher Zukunft marktreife Sex-Roboter, sondern auch dadurch, dass beide im Zeichen der audiovisuellen Medien jeden Schleier und jede Scham, jede Form der Andeutung und Verhüllung abgelegt haben. Beide werden immer stärker technisiert und setzen die Isolierung der Einzelnen voneinander fort – der gegenläufige Trend zur Authentizität und Intimität versprechenden »Girl-Friend-Experience« bestätigt diese Entwicklung nur, indem sich in ihm die Sehnsucht nach Kompensation der Einsamkeit ausdrückt.
Die Beteuerung, jeder Kunde werde in seiner Individualität und Besonderheit angenommen, er dürfe sein Geheimstes, Intimstes und Persönlichstes offenbaren, und die Versprechen, alles sei möglich und der Fantasie keine Grenzen gesetzt, entsprechen nur noch dem allgegenwärtigen Marketingsprech, in dem der Zahnarzt »nur für mich« da ist und jede beliebige Dienstleistung »individuell« ist und »von Herzen« kommt. Das widerspricht eklatant der Konfektionierung und dem Dienstleistungscharakter des Angebots.
Politisch wäre daraus für die Bewegung der Sexarbeiter womöglich die Konsequenz zu ziehen, dass die Forderung nach Anerkennung und die Bereitschaft zur umfassenden Integration der konsequenten Forderung nach Entkriminalisierung zu weichen hätten und auf den Eigenheiten des Gewerbes zu beharren wäre, die es, ähnlich wie die Kunst, mit dem kapitalistischen Betrieb prinzipiell unvereinbar machen. Ziel müsste eher die Wiederherstellung der Berufsehre der Prostituierten als die heuchlerische Sorge um deren Menschenwürde sein; eher die Verteidigung von deren Haltung der Verweigerung als die begeisterte Bejahung Ihrer gesellschaftlichen Integration; eher der Stolz auf das Stigma als Ausdruck des abweichenden Lebensstils denn Werbekampagnen zu dessen Bekämpfung, die meist nicht mehr sind als Lobbyarbeit für die jeweiligen Vereine und Bewerbungen für verantwortliche Posten; eher Solidarität im Milieu als das Streben nach höheren Weihen durch die offizielle Politik. Dies würde auch erfordern, den Kampf eindeutig gegen die kapitalistische Organisation der Gesellschaft zu richten, denn die Aufhebung der Widersprüche und die Abschaffung der Ausbeutung waren überhaupt nur jenseits der kapitalistischen Vergesellschaftung möglich; erst dann könnte die Hurerei in einem ernsthaften Sinne ein Beruf mit allen Sinnen werden (wie im Übrigen auch alle anderen Tätigkeiten). Der Blick zurück erlaubt es, festzuhalten, dass die Hure einmal mehr und anderes gewesen ist als eine sexuelle Dienstleisterin. Die Utopie der freien und vernünftig eingerichteten Gesellschaft muss auch von diesem Bild der Hure zehren. Dieser gebührt das letzte Wort:
»Mögen all die Männer, die zu uns kommen, ›mühselig und beladen‹, wie es in der Bibel heißt – diejenigen, die wir vor dem Selbstmord und der Einsamkeit retten, diejenigen, die in unseren Armen und unseren Vaginen den Lebensschwung finden, dessen man sie anderswo beraubt – diejenigen. die uns mit beschwingten Eiern und Sonne im Herzen verlassen – mögen sie aufhören, uns zu ärgern, über uns zu urteilen, uns zu verleugnen, zu bestehlen, niederzuknüppeln, einzusperren, uns die Kinder zu nehmen, um sie dem Sozialamt zu übergeben, unsere Liebhaber und die Männer unserer Herzen einzusperren … Möge man erkennen, dass wir schön, nützlich. begehrenswert und geschickt sind, dass wir Tausende Männer erigieren und ejakulieren machen und dass das im Schweiße unserer Ärsche und Hirne errungene Geld uns gehört und dass wir es verdienen -« (Réal, „Se prostituer est un acte revolutionnaire“, S.95 f., Übersetzung T.B.)