„Tempo“ war antilinks

Ein Buch über Popjournalismus und eine Studie über wachsende weltweite Ungleichheit

Der MAC drückt sich schon seit Wochen davor, etwas zu äußern zu dem Buch „Gegenwart machen. Eine Oral History des Popjournalismus“ von Erika Thomalla, der engagierten Buchwissenschafterin an der LMU München. Thomalla kam im Blog schon vor einiger Zeit vor, mit dem „Kid P.“-Sammelband (über den stilprägenden Pop-Journalismus des Andreas Banaksi), den sie betreute. https://michael-hopp-texte.de/das-arschloch-und-der-schleimer/  Mit dem Arschloch und dem Schleimer sind – in dem Zusammenhang jetzt irreführend – Friedrich Merz (Arschloch) und Wolfram Weimer (Schleimer) gemeint, die in einem andern Beitrag der Blog-Ausgabe vorkamen.

Und das, obwohl der MAC in seiner Rolle als Michael Hopp der Autorin Thomalla für „Gegenwart machen“ ein Interview über seine Zeit bei „Tempo“ gegeben hat, aus dem einzelne „Häppchen“, neben unzähligen anderen Häppchen (Oral History), im Buch wiedergegeben sind.  Im Buch geht es nicht nur um „Tempo“, sondern auch um Titel wie Mode & Verzweiflung, Spex, WIENER, Süddeutsche Magazin. Für „Tempo“ wurde mit den üblichen Verdächtigen gesprochen, wie Stuckrad-Barre, Kracht, Biller, Timmerberg, von Uslar, Seidl und anderen, Astrid Proll und Susanne Schneider, zwei Frauen immerhin. Präsentiert wurde das Buch letzte Woche im „Schumann´s“ in München – das kam unerwartet, wo doch ohne Zweifel Hamburg das natürliche Biotop von „Tempo“ war.

Auffällig, aber in den Statements auch angesprochen, ist der absolute Mangel an Frauen unter den Gesprächspartnern, genauso wie das Fehlen von Markus Peichl – vielleicht hat er sich gedacht, dass Ruhm langfristig nur wächst, wenn man sich auch rausziehen kann und die anderen reden lässt. Statements wie das von Moritz von Uslar geben ihm recht:

MORITZ VON USLAR: „Tempo war ein Produkt von Markus Peichl. Man kann das nicht hoch genug einschätzen. Man kann Peichl vielleicht nicht ganz in eine Reihe stellen mit den großen Zeitschriften-gründern der alten Bundesrepublik, mit Augstein, Nannen, Springer, weil die eine andere Generation sind – aber im Grunde genommen gehört er da hin. Das ist seine Liga. Er war ein großer Charismatiker, ein Tyrann, ein Zeitschriften-Tycoon. Markus hatte die Aura eines brachialen, charismatischen Anführers, er war enorm anspruchsvoll, ganz nah und zugleich unnahbar, sehr laut, gleichzeitig zärtlich und wundervoll hellhörig und präzise in den Zwischentönern alles auf einmal, und natürlich war er komplett undeutsch, ein Wiener.“ (Seite 147)

german terroristin astrid proll released
Astrid Proll freigelassen – Astrid Proll (Mitte), ein ehemaliges Mitglied der westdeutschen Baader-Meinhof-Gruppe, wird am Mittwoch beim Verlassen des Frankfurter Gerichtsgebäudes von Freunden mit Blumen überreicht. Das Gericht hob den Haftbefehl gegen sie auf, sodass sie sich zwischen den Verhandlungsterminen frei bewegen kann. Astrid Proll stand hier wegen zweifachen versuchten Mordes vor Gericht. (AP-Foto/Heribert Proepper)

Interessant für den MAC und Wasser auf seine Mühlen (man beachte das weniger popjournalistische Althochdeutsch) ist dieser Fund in de Zitatenwust:

ASTRID PROLL: „Tempo war ja im Grunde antilinks. Peichl hat die 1968er verachtet – das war der große Bruch in dieser Zeit. Viele aus meinem Umfeld fanden es deshalb verrückt, dass ich für diese Zeitschrift arbeite. Die Leute kannten diese Form des Zeitgeistmagazins nicht. Für mich war es aber super, zu Tempo zu kommen, weil ich auf diese Weise noch einmal einen Beruf lernen konnte. Dass ich in der Bildredaktion landete, ist in gewisser Weise nicht untypisch. Bildredaktionen waren klassischerweise Jobs für Frauen, die versorgt werden mussten. Zum Beispiel die Ex-Frauen der ehemaligen Chefredakteure.“ (Seite 150)

„Tempo „war im Grunde antlinks, wie wahr!  Die 68er galten als gescheitert, nicht mehr zeitgemäß, als bevormundend und irgendwie nervig. Einen größeren Horizont gab es nicht. Der Marxismus oder die Geschichte der Arbeiterbewegung kamen in „Tempo“ nicht vor.  Der MAC selber schrieb nur, wie sich „neue Väter“ zu benehmen haben, oder wie man sich am besten einen runterholt. Nicht mal die revolutionäre Geschichte des eigenen Verlags, Hoffmann und Campe, mit dem Heine-Verleger Julius Campe, die eine Folie für „Tempo“ hätte bilden können, wurde wahrgenommen. Heine war für die „Tempo“- Redaktion nur der Namensgeber der Villa, in der die Redaktion untergebracht war, und nicht der Cousin von Karl Marx.

Thomallas Buch enthält jede Menge Statements, die ein schönes Bild ergeben der damaligen Mentalität. Wie hochstilisiert das Thema „Zeitschrift“ und bestimmte journalistische Auffassungen und Techniken damals waren, wirkt für heute unvorstellbar. Zeitschriften sind tot und auch nach „journalistischen Auffassungen“ (okay, vielleich ist schon das Wort blöd), wird man vergeblich suchen. Die Frage, was „Tempo“ in digitaler Zeit denn wäre und warum es dann doch recht schnell in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist, scheint sich keinem der Interviewten zu stellen.

Und so viel auch über „Journalismus“ geredet wird, eines kommt in keinem einzigen der hunderten Gesprächszitaten vor: Dass der Journalismus auch ein Mittel sein kann, die Welt zu verändern, die Wirklichkeit. Nein, „Tempo“ wollte nicht die Welt verändern, da hat Astrid Proll was wichtiges ausgeprochen. Für den MAC als junger Held war idealistische Weltveränderung das absolute Motiv, den Beruf anzustreben, an politischen Organisationen war für ihn immer weniger die genaue Ausrichtung interessant, als ob es eine Zeitschrift gibt, und ob er da mitarbeiten könne. Auch seine Mentor Günther Nenning verkörperte die untrennbare Verbindung zwischen Journalismus, Blattmachen, Bücherschreiben – und linker Politik. Von den „Tempo“-Autoren ist seither keiner in einem dezidiert linken Umfeld aufgetaucht.

Ist der MAC deshalb ein besserer Mensch? Nein, keineswegs, seine Karriere als Journalist sollte nach WIENER und „Tempo“ noch viele weitere Stationen haben, die noch unpolitischer  und angepasster waren als „Tempo“.  Eine Haltung, die er sich heute nicht mehr leisten will – und das ist eine gute Rutsche in den zweiten Beitrag,

Erika Thomalla: Gegenwart machen. Eine Oral History des Popjournalismus, Schöffling & Co, Frankfurt 2025, € 28,00

Stoppt die Superreichen!

Alle paar Jahre gibt es einen Tag, an dem liberale Zeitungen wie die „Süddeutsche“ sich in einzelnen Artikeln in linke verwandeln. Immer dann, wenn ein neuer Report von des französischen Ökonomen Thomas Piketty erscheint. Seit der weltweit beachteten Studie „Das Kapital im 21.Jahrhundert (2024)“ haben sich Piketty und sein internationales Team mit dern hohen wissenschaftlichen Niveau und der Unangreifbarkeit seiner Daten eine Glaubwürdigkeit als Analytiker der globalen Ungleichheit erarbeitet erarbeitet, die bis weit in bürgerliche Kreise reicht.  Im analytischen Teil seiner Arbeit ist Piketty tatsächlich so jemand wie der Karl Marx unserer Zeit – ein Marx, der am Computer und mit digitalen Daten arbeitet und nicht mit handgeschriebenen Zahlenkolonnen.

Und so kommt es, dass in der „Süddeutschen“ vom Donnerstag, 11. September, folgende wahre Worte zu lesen waren. Was aber auch gesagt werden muss: Das kurze moralische Aufhorchen, das mit diesen Veröffentlichungen verbunden ist, bleibt stets völlig folgenlos. Etwa bei der SPD hat sich die Erkenntnis fest gesetzt, dass „soziale Ungleichheit“ kein Thema sei, über das sich mobilisieren ließe – ein historisch fataler Trugschluss. Und die neue Regierung – unter Mitwirken der SPD – tut alles, um das Thema Ungleichheit nicht aufkommen zu lassen, wie man zuletzt am Umgang mit dem Armutsbericht sehen konnte. Wobei die interessantere Frage als die, woher die Ungleichheit kommt, inzwischen vielleicht die ist, warum sich die Menschen so viel davon gefallen lassen. M.H.

Von Alexander Hagelüken

Ein paar Superreiche wie Elon Musk und Jeff Bezos besitzen mehr als die Hälfte der Menschheit. Experten fordern eine globale Vermögenssteuer – und warnen, daß der zügellose Kapitalismus Klima und Demokratie gefährden

Schon wer nur kurz in den globalen Ungleichheitsreport von Thomas Piketty und Kolleginnen schaut, schüttelt vermutlich den Kopf. Wie konnte es so weit kommen, dass ein paar Superreiche wie Elon Musk und Mark Zuckerberg inzwischen dreimal so viel Geld, anhäufen wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung zusammen?

Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst nicht nur international, sondern auch national. In Deutschland halbierte sich seit der Wiedervereinigung der Anteil, den die ärmere Bevölkerungshälfte am Gesamtvermögen besitzt.

Die Weltbevölkerung und die einzelnen Gesellschaften driften auseinander, weil eine reiche Minderheit von der globalen Öffnung der Märkte und Investments besonders profitiert. Aber, und das erscheint zentral: dass die Ungleichheit anschwillt, ist nicht zwangsläufig und schon gar nicht gottgegeben. Es resultiert auch aus politischem Versagen.

Es sind die Regierungen, die Zuckerberg und anderen Digitalbaronen Monopolge-winne erlauben. Sie sind es, die Superrei-che geringer besteuern als die hart arbeitende Mehrheit der Gesellschaft – und deshalb weniger Geld für Bildung und andere Maßnahmen ausgeben können, die jenen Chancen schaffen, die keinen goldenen Löffel im Mund haben.

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CUT OFF I.: Die Schere wächst und wächst und wächst … und (fast) alle schauen weg

Wer viel hat, kann seine Privilegien auch immer machtvoller verteidigen

Zur Wahrheit gehört, dass die Reichen ihre ungerechtfertigten Privilegien immer machtvoller verteidigen. Da spendiert der reichste Erdenbürger Elon Musk Rekordsummen für die Wiederwahl des Milliardärs Donald Trump – um sich mit anderen Unternehmern Gefälligkeiten wie die Aufweichung von Kontrollgesetzen zu erkaufen.

In der Bundesrepublik tun sich Lobbyisten wie der Verband der Familienunternehmer hervor, der kürzlich wegen Avancen an die AfD in Misskredit geriet. Diese Lobbyisten machen etwa Stimmung mit Schauermärchen über angebliche Schäden, falls Firmenerben angemessen besteuert würden. So tragen sie dazu bei, dass dem Staat jährlich mindestens acht Milliarden Euro entgehen, die er sinnvoll investieren könnte.

Doch dass Reiche ihre Muskeln spielen lassen, um noch reicher zu werden, darf für die demokratischen Parteien keine Ausrede sein. Es ist ihre Aufgabe, den Einflüsterungen der Einflussreichen zu widerstehen und endlich Politik für die Mehrheit zu machen. Etwa durch eine Zerschlagung der digitalen Monopole.

Und durch Steuerreformen, die die arbeitende Mitte besserstellen – und sich das Geld dafür bei Topverdienern, Reichen und Firmenerben zu holen. Solche Reformen würden die Ungleichheit verringern.

Und sie erscheinen aus mehreren Gründen so notwendig wie nie. Der Überreichtum bedroht die Demokratie. Zum einen, weil er Figuren wie Elon Musk und Mark Zuckerberg unbegrenzte Finanzmittel gestattet, durch die sie in der Politik ökonomische Vorteile zu Lasten der Mehrheit erlangen. Und zum anderen, weil sich viele Wähler von der passiven Politik vieler demokratischer Parteien nicht mehr vertreten fühlen, die die Reichen ungehindert gewähren lassen und die Infrastruktur ihrer Länder klein gespart haben.

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CUT OFF II.: Frauen, Klima – keine Rücksicht auf Verluste

Sicher, der gefährliche Aufstieg der Rechtspopulisten wie der AfD hat mehrere Ursachen. Doch finanzielle Unzufriedenheit zählt dazu, und manchem fehlt die Perspektive. Auch die aktuelle Bundesregierung schafft es bisher nicht, die breite Bevölkerung nach den harten Inflationsjahren durch eine Steuerreform besserzustellen. Währenddessen ist die Zahl der Milliardäre in Deutschland allein 2024 um ein volles Drittel gestiegen.

Die Ungleichheit zu reduzieren, erscheint auch aus internationaler Perspektive drängender denn je. Das wird schon daran deutlich, dass die reichsten ein Prozent des Erdballs dem Klima durch ihren Luxuskonsum mehr schaden als die ärmere Hälfte der Menschheit durch ihren bescheidenen Alltag.

Betrachtet man die Klimaschäden durch Investments, ist dieses Ungleichgewicht noch drastischer, wie der Report von Piketty und Co. enthüllt. Es wird Zeit, diesen Wahnsinn zu stoppen, wenn der Planet noch gerettet werden soll.

Quelle der Daten: World Inequality Lab.

https://inequalitylab.world/en

Quelle Text; Süddeutsche Zeitung, 11. Dezember 2025, Seite 15

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