Von Finn Schreiber und Henry Grotkasten (Fotos)
Jürgen Bönig, Technikgeschichtler, Sozialhistoriker und langjähriger Kurator im „Museum derArbeit“, stellte am letzten Montag (30. Juni 2025) im ROTEN SALON HAMBURG sein demnächst im VSA:Verlag erscheinendes Buch Otto Meissner, Verleger nicht nur des »Kapital« vor. Trotz des sehr speziellen Themas war der Vortragsraum der StaBi gut gefüllt. Mit dabei viele neue Gesichter, was uns sehr gefreut hat.
Was als kleine historische Erzählstunde über ein für die meisten zunächst unbekannte Person und ihr Leben und Wirken in Hamburg begann, entwickelte sich schnell zu einer kundig geführten und durch nie gesehene Abbildungen gestützte Tour durch die gesamte Wirtschafts-, Sozial- und Staatsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Von der Revolution 1848, über das Kommunistische Manifest bis zu dualer Berufsausbildung und skandinavischer, empirischer Archäologie, ging es um eine Vielfalt an Themen, deren innerer Zusammenhang sich nach und nach erschloss.

Wie verhält man sich politisch als Verleger in stürmischen Zeiten?
Otto Meissner wächst in den Nachwehen der Französischen Revolution auf, erlebt die darauffolgende Restauration, nimmt aktiv an den Geschehnissen der 1848er Revolution teil und bekommt ganz deutlich den Wandel hin zu einem industriellen Hamburg und Deutschland mit. An der Person Meissners lässt sich die immer weiter beschleunigende Entwicklung der damaligen Zeit nachverfolgen. Zusammen mit dem noch heute bestehenden Verlag Hoffmann und Campe war der Otto Meissner Verlag damals einer der bedeutendsten Verlage in Hamburg und Deutschland.
Doch wie verhält man sich als Verleger in politisch brisanten Zeiten? Meissners Antwort darauf: Die Auswahl der Publikationen muss nach politischen Kriterien erfolgen, man pflegt ein hohes Maß an Vertraulichkeit auf und sucht Mittel und Wege, Zensur und staatlicher Repression zu entgehen. Und noch viel wichtiger: Man schafft Möglichkeiten für Menschen, sich durch (Selbst-)Bildung Wissen und Fähigkeiten anzueignen, die es erlauben, die bestehenden und entstehenden Verhältnisse zu durchschauen, und sich in ihnen zurechtzufinden.
Damals verfolgten die Verleger ein aufklärerisches Projekt, heute, zusammen mit den sieben Herrschern des Internet, das Gegenteil
Eine Frage, die wir uns dabei gestellt haben: Gibt es heute noch politische Verleger?
Meine vorläufige Antwort darauf:
Ja, allerdings nur nicht solche, wie wir sie gerne hätten. Sieht man sich etwa Mathias Döpfner (Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE) oder Götz Kubitschek (Gründer des neurechten Antaios Verlags und des Instituts für Staatspolitik) an, wird schnell klar, dass es beiden um zwar unterschiedliche, aber eindeutig politische Projekte geht. Im Falle Kubitschek spielt übrigens auch der Umgang mit staatlicher Repression eine wichtige Rolle. Um Fortschritt im Sinne von politischer Emanzipation geht es dabei, wie es bei Meissner der Fall war, allerdings gerade nicht.
Noch düsterer sieht es aus, denkt man an die sozialen Medien, wo “Verleger” wie Elon Musk einen theoretisch offenen Raum der globalen politischen Auseinandersetzung und der Selbstbildung auf “Linie” bringen wollen, wie auch einige Verleger deutscher Tageszeitungen dies tun. Daneben gibt es noch Verleger und Verlage, die überhaupt nicht politisch in Erscheinung treten. Was sich als fehlende politische Ausrichtung darstellt, ist dabei nichts anderes als das Sich-Abfinden mit den bestehenden Verhältnissen.
Klar gibt es auch linke Verlage, die ihr Verlagsprogramm größtenteils politisch auswählen; wer sich allerdings über deren Zukunftsfähigkeit erkundigt, wird schnell feststellen, dass die meisten vor dem finanziellen Bankrott stehen. Ohne großzügige Spenden, einen wohlhabenden Finanzier im Hintergrund oder größte (Selbst-)ausbeutung der Mitarbeitenden, können solche Verlage heute nicht mehr überleben.
Ein Ausweg aus der Misere ist nicht in Sicht. Noch wichtiger erscheint es daher, sich nicht auf institutionalisierte Räume der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu verlassen, sondern nach neuen Wegen aus der “selbstverschuldeten Unmündigkeit” (Kant) zu finden, die es gerade so dringend braucht. Auch das wäre sicherlich im Sinne Otto Meissners.

Abschließend sei noch auf das 2017 erschienene Vorgängerwerk von Jürgen Bönig verwiesen, Karl Marx in Hamburg – Der Produktionsprozess des »Kapital«, welches mittlerweile auf der Website des VSA-Verlags kostenlos heruntergeladen werden kann.
Bis September sind wir nun vorerst in der Sommerpause. Am 15.09. starten wir dann mit einem ROTEN SALON SPEZIAL in die neue Saison. Seid gespannt auf das „Kommunistische Manifest“ von Karl Marx und Friedrich Engels: fantastisch vorgetragen von Iris Minich!
Finn Schreiber, 27, ist Rechtsreferendar in Hamburg, Mitglied der MASCH (Marxistische Abendschule Hamburg) und ehrenamtlicher Mitarbeiter des ROTEN SALON HAMBURG