Achim Szepanski (1957 bis 2024) war der seltene Fall eines Musikers, Musikproduzenten und theoretisch arbeitenden Marxisten. Er erkannte früh die politische Funktion des Rave und produzierte u.a. mit dem Label Mille Plateaux Techno aus einer materialistischen Auffassung heraus – und war damit sowas wie der Kurt Weill unserer Zeit, von der Linken völlig unverstanden. Mit großen Büchern wie „Kapital und Macht im 21. Jahrhundert“ (2018) und „Die Ekstase der Spekulation“ (2023) über den globalen Finanzkapitalismus brachte er den Marxismus auf die Höhe der Zeit. Ich bewundere ihn sehr dafür, wie er linkes Denken und Kulturschaffen praktisch und theoretisch miteinander verschmolz – etwas, das es in der Linken praktisch nicht mehr gibt, sehr zu ihrem Schaden. Denn ohne „kulturelle Hegemonie“ (nach Gramsci das Erzeugen mehrheitsfähiger Ideen) wird sie ihre Politikfähigkeit nicht wieder erreichen. Achim hinterlässt eine große Leerstelle. M.H.
Nachruf: Zum Tod eines Freundes
Unser Autor, Genosse und Freund Achim Szepanski wurde gestern tot in seiner Wohnung aufgefunden. Achim Szepanski war innerhalb unserer Welt singulär, geradezu etwas Rares. Hochintelligent, sensibel, schonungslos in seiner Kritik, auch in seiner Polemik gegen eine längst zur leeren Attitüde gewordenen linksradikalen Lebenshaltung. In der Freundschaft und im persönlichen Gespräch aber war Achim von einer ungeahnten und ungewöhnlichen Zartheit und Achtsamkeit. Noch klingt uns seine Stimme im Ohr und wir wissen, was wir verloren haben: auch wenn sie zunehmend verzweifelt klang im Umstelltsein von der globalkapitalistischen Macht und den jüngsten Eskalationen ihres Terrors. Nur wenige haben den Finanzkapitalismus so durchdrungen und verachtet wie Achim. Ärmer durch den Verlust gedenken wir seiner.
Hamburg/Frankfurt 25.09.2024
Gabriella Angheleddu, Karl-Heinz Dellwo, Thomas Rudhof-Seibert Gabriele Rollnik, Dennis Büscher-Ulbrich
Vom Elend des globalen Proletariats
VON ACHIM SZEPANSKI
Diesen Text veröffentlichte Szepanski kurz vor seinem Tod auf Facebook
NON: Das globale Proletariat umfasst heute, neben der lohnabhängigen, tarifrechtlich noch abgesicherten Arbeiterklasse mit relativ hohen Löhnen (Stammbelegschaften) in den westlichen Ländern, auch das Prekariat sowie eine über eine Milliarde zählende Surplus-Bevölkerung, der jeder Zugang zu den offiziellen Arbeitsmärkten untersagt bleibt und die sich in informellen und nicht-kapitalistischen Ökonomien reproduzieren muss oder in Slums dahin vegetiert, das heißt, als akkumulierte Leichenhaftigkeit existiert.
Es sind diese total Enteigneten, die Massen von Arbeitslosen, die Tagelöhner und die unter protoindustriellen Bedingungen vernutzten asiatischen und afrikanischen Wanderarbeiter, das postkoloniale Heer von Sklaven, die Alten und Kranken, aber auch die überflüssigen Jugendlichen, die von einem Bildungssystem, das sich vor allem auf die alltägliche Evaluation von jedem durch jeden konzentriert, für Jobs ausgebildet werden, die es in Zukunft gar nicht geben wird – alles in allem das globale Lumpenproletariat, das außerhalb des offiziellen Arbeitssystems steht. Die Surplus-Bevölkerung vegetiert heute vor allem im globalen Süden auf dem schmalen Grat zwischen Überleben und totaler Liquidierung.
Der buddhistische Ökonom Karl Heinz Brodbeck schreibt zum globalen Süden: »Es besteht wohl ein teleologischer, aber kein faktischer Unterschied zwischen dem, was einerseits an den globalen Marktschranken an Hunger, Tod und Elend erzeugt wird und andererseits in den Lagern von Hitler, Stalin, Mao, sowie den Einzäunungen und Camps des US-Imperiums und seiner Satelliten. Gewiss, in den Lagern herrscht nackte und beabsichtigte Gewalt, gelenkt von der Intention, zu foltern und gezielt zu töten. Die Opfer der Märkte werden wohl nicht beabsichtigt, aber sie werden präzise und wörtlich, in Kauf genommen. Der Wahnsinn beider Handlungsweisen, der Herstellung von Opfern oder ihre Inkaufnahme, besitzt gleichwohl eine gemeinsame Form: Die Durchsetzung einer Abstraktion ohne Rücksicht auf die Mittel, gelenkt vom dummen Stolz eines herrschenden Nichtwissens. Es ist deshalb kein Zufall, dass sich mehr und mehr auch eine instrumentelle Konvergenz zwischen totalitärer Gewalt und der abstrakten Herrschaft des Geldes herausbildet und die Differenz zwischen dem Elend in den Slums und dem Terror in den modernen Folterkammern nivelliert wird« (Brodbeck 2012: 1232-1233).
Literaturliste Achim Szepanski (zit. nach Wikipedia)
- Achim Szepanski ( – 2024 als Hrsg. mit Marcus S. Kleiner: Soundcultures. Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-518-12303-3.
- Saal 6 – Roman. Rhizomatique, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-9813227-2-9.
- Pole Position – Roman. Rhizomatique, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-9813227-0-5.
- Verliebt ins Gelingen – Roman. Rhizomatique, Wiesbaden 2012.
- Geld und Zeit. Zur Strukturalität des Finanzkapitalismus – Essay. 2012.
- Kapitalisierung Bd. I – Marx’ Non-Ökonomie. Laika-Verlag, Hamburg 2014, ISBN 978-3-944233-12-3.
- Kapitalisierung Bd. II – Non-Ökonomie des gegenwärtigen Kapitalismus. Laika-Verlag, Hamburg 2014, ISBN 978-3-944233-23-9.
- Der Non-Marxismus. Finance, Maschinen, Dividuum. Laika-Verlag, Hamburg 2016, ISBN 978-3-944233-69-7.
- Ultrablack of Music. Feindliche Übernahme. Spector-Verlag, Leipzig 2017, ISBN 978-3-95905-138-5.
- Kapital und Macht im 21. Jahrhundert. Laika-Verlag, Hamburg 2018, ISBN 978-3-944233-90-1.
- englischsprachige Ausgabe, aktualisiert und erweitert: Financial Capital in the 21th Century. A New Theory of Speculative Capital. Palgrave, New York 2022, ISBN 978-3-030-93150-6.
- RIOT – Was war da los in Hamburg?: Theorie und Praxis der kollektiven Aktion. Hrsg. mit Karl-Heinz Dellwo und J. Paul Weiler, Laika-Verlag, Hamburg 2018, ISBN 978-3-944233-91-8.
- Imperialismus, Staatsfaschisierung und die Kriegsmaschinen des Kapitals – Drei Essays. Laika-Verlag, Hamburg 2018, ISBN 978-3-944233-92-5.
- Ultrablack of Music (Hrsg.). NON/Mille Plateaux, Frankfurt 2020, ISBN 978-3-00-064816-8.
- Die Ekstase der Spekulation. Kapitalismus im Zeitalter der Katastrophe. Galerie der abseitigen Künste/NON.Derivate. Hamburg 2023, ISBN 978-3-948478-18-6.
- chinesischsprachige Ausgabe: Financial Capital in the 21th Century. A new Theory of Speculative Capital. Central Compilation and Translation Press.
- In the Delirium of Simulation. Baudrillard Revisited. Becoming Press / NON. Berlin 2024, ISBN 978-9925-7984-7-