ROTER SALON zum Nachlesen

In letzter Zeit war viel vom Kommunismus die Rede auf dem Blog, auf der Website und in den Veranstaltungen des ROTEN SALON HAMBURG. Warum? Lasst es mich mal so begründen: In einer Zeit, in der Alternativen zum Kapitalismus, so überlebensnotwendig sie sich gerade auch darstellen, verschüttet scheinen, nicht greifbar, die Vorstellung überfordernd, schlicht: nicht existierend,  könnte es hilfreich sein, nochmal zu gucken, was denn mit dem Kommunismus gemeint war und was man ihm heute noch abgewinnen könnte. Der „Ostblock“ kann es ja nicht gewesen sein.
Ich weiß, Kommunismus ist ein schwieriges Wort, das viel Abwehr produziert. Ich benutze es trotzdem mit diebischer Freude, weil ich mir keine Welt vorstellen kann, in der es ganz verloren gegangen ist.

Auf Jenny Kellner, die wir mit ihrem Buch „Anti-Ökonmischer Kommunismus“ heute im ROTEN SALON zu Gast haben, bin ich gestoßen auf Vermittlung von Benjamin Sprick, eines Cellisten und Philosophen an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg  – was für eine schöne Jobbeschreibung – , der im Schauspielhaus mit der Veranstaltungsreihe „Im Keller der Metaphysik“ eine Art Luxusvariante des ROTEN SALON betreibt; vielleicht etwas hellröter, dafür sehr gediegen und hamburgisch. Jenny ist übrigens demnächst auch da zu Gast.
Ich besorgte mir also das Buch und war von dem sperrigen Titel „Anti-Ökonmischer Kommunismus – Batailles Nietzscheanische Herausforderung“ zunächst auch etwas verschreckt. Das änderte sich allerdings schnell, genau gesagt schon auf Seite 13, als folgende Stelle fand, die ich im Orignal wiedergeben möchte, weil sie auch viel aus Zitaten besteht:

„Die Philosophie heute hat im wesentlichen die Aufgabe, die Idee des Kommunismus erneut und neu zu denken“

„Ein Ergebnis der Auseinandersetzungen Blanchots, Nancys, Zizeks, Badious, Negris und anderer mit dem Begriff des Kommunismus besteht bei allen inhaltlichen Kontroversen darin, dass die Philosophie heute, im Hinblick auf die historisch-politische Realität ebenso wie im Hinblick auf sich selbst, wesentlich die Aufgabe hat, die Idee des Kommunismus erneut und neu zu denken.“

Ein Einschub ist hier notwendig, in gewisser Weise schließt Jennys Buch an der zweibändigen, von Slavo Zizek herausgegebenen Edition „Die Idee des Kommunismus“ an, die Materialien einer gleichnamige Londoner Konferenz vom März 2009 versammelt, damals als Antwort auf Alain Badious »Die Kommunistische Hypothese« – Badious ist ein bedeutender französischer Philosoph, Marxist, Mathematiker und Romancier.
Slavoj Žižek versammelte damals mehr als zwanzig linke und linksradikale Theoretiker, darunter Antonio Negri, Bruno Bosteels, Terry Eagleton und Alberto Toscano, und diskutierte mit ihnen die Möglichkeiten eines kommunistischen Neubeginns ebenso wie die Notwendigkeit des Kommunismus als gesellschaftliches Zukunftsprojekt.

Weiter bei Jenny Kellner:
„Schon Marx hatte die Philosophie und das kommunistische Projekt in ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis gestellt: »Die Philosophie kann sich nicht verwirklichen ohne die Aufhebung des Proletariats, das Proletariat kann sich nicht aufheben ohne die Verwirklichung der Philosophie.«
Badious »kommunistische Hypothese«, die von der Annahme der Möglichkeit eines ›gemeinsamen‹ Wahrheitswerts politischer Ideen ausgeht, »folgt dem Primat der politischen Idee gegenüber ideenlosen, rein pragmatischen oder interessegeleiteten Machtkalkülen.« Und der Sozialismus ist, so Badiou, ungeachtet seiner entmutigenden historischen Ausdrucksformen, die einzige politische Ideologie, die sich überhaupt auf eine Idee beruft.
»Solange die Idee, die ›Kommunismus‹ genannt wird, die einzige ist, die sich dem marxschen Ideal gemäß alle Einzelnen in eine ›freie Assoziation‹ integrierend auf das Schicksal der gesamten Menschheit bezieht, bleibt die »kommunistische Hypothese […] der Hintergrund jeder emanzipatorischen Orientierung«.
Sofern »die Philosophie selbst an keiner Katastrophe, die aus schlechten Interpretationen einer Idee resultiert, vollkommen unschuldig« ist, hat philosophische Kritik sich mit den Lehren zu verknüpfen, die historisch aus den gescheiterten Realisierungsversuchen der kommunistischen Idee gezogen werden können.
Vor dem Hintergrund dieses normativen Verständnisses von Philosophie wird mit der vorliegenden Arbeit die systematische These verfolgt, dass Batailles nietzscheanisches Denken die Entwicklung des Begriffs eines anti-ökonomischen Kommunismus herausfordert, durch den der ›herkömmliche‹ Kommunismus, ebenso wie Faschismus und Kapitalismus, radikal angefochten werden können.“

Ende Zitat. Womit mich Jenny Kellner also „abgeholt“ hat, womit sie mich begeistert, ist der Ansatz, uns den Kommunismus nicht verbieten zu lassen, wie es heute der Zeitgeist ist, sondern im Gegenteil, ihn neu zu diskutieren.

Es ist keine leichte Aufgabe, die Versprechen des Kommunismus von den Verbrechen des 20. Jahrhunderts zu trennen

Nochmal, es ist verständlich, das vielen der Begriff „Kommunismus“ als verbrannt erscheint – und dass es keine leichte Aufgabe ist, die Versprechen des Kommunismus von den Verbrechen des 20. Jahrhunderts zu trennen.
Nur, wenn dann man alles abgerissen ist,  wenn der konterrevolutionäre Rauch verzogen ist, was haben  dann noch? Ist der Kommunismus als Maximalvorstellung, nicht nach wie vor der Orientierungspunkt, in gewisser Weise auch der Ursprung, wenn wir vom „Sozialen“ sprechen?
Hätte es, ohne marxistisch kommunistischer Vorgeschichte, je einen Klassenkampf gegeben, der mit Erfolgen in der Umverteilung die Lage der Arbeiterklasse verbessert hat, man könnte sagen, sosehr, dass sie sich heute gar nicht mehr als Arbeiterklasse fühlt?
Wenn wir den Kommunismus als Orientierung verlieren, verlieren wir dann nicht alles, was uns zu sozialen, mitfühlenden Wesen macht, der Solidarität fähig.
Nennt es Sozialismus, das ist okay für mich, aber Sozialismus ist schon ein Begriff, der zur Metamorphose mit dem Kapitalismus hinleitet, wie er mit der Sozialdemokratie vollendet wurde. Ich komme aus einem Land, und man kann fast sagen, ich habe es deshalb verlassen, in dem eine sozialistische Partei, zur „sozialdemokratischen“ umbenannt wurde, mit verheerenden Folgen. Heute haben wir in Deutschland den brutalen Niedergang der SPD im Moment besonders deutlich vor Augen.

Wir sprechen nicht von Kinderschändung, wenn wir von Kommunismus sprechen

Mit großer Zwangsläufigkeit befeuert der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Verfasstheit die Ideen des Kommunismus, da müssen wir gar nichts tun dafür. Die unbedingte Herrschaft des Kapitals uns seiner Verwertungsinteressen wird mit jeder Nachrichtensendung in Frage gestellt. Mir scheint der Kommunismus heute mehr als ein Gespenst zu sein, einfach auch, weil die Produktivkräfte entwickelter sind.
Kommunismus meint im Kern, Vergesellschaftung der Produktionsmittel, und das ist wirklich nicht etwas, das man heute nicht aussprechen darf. Selbst bürgerliche Wirtschaftsberater geben Workshops dazu.
Kommunismus meint nichts anderes, als mehr Gleichheit – auch das eine Forderung, die heute mehr als geläufig ist. Die unerträgliche Ungleichheit die wir haben, ist heute jeden Tag in den Medien. Wir sprechen also nicht von Kinderschändung, wenn wir von Kommunismus sprechen. Und, keine Angst, es muss auch nicht jeder sein Handy abgeben.

Was Jenny Kellner, mit Batailles nietzscheanischem Denken genau meint, und vor allem, warum es heute inspirierend und bedeutend sein kann, sich damit auseinanderzusetzen, das erklärt Jenny am besten selbst. Ein Hinweis noch: Jenny Kellner hat ein philosophisches Buch geschrieben, das weniger die verbliebene Bedeutung der Bedingung von Arbeit und Kapital diskutiert, als viel mehr den Kommunismus als unverzichtbare Metapher für das Gegenteil, als Praxis des »Anti« als Ausdruck der »Anfechtung« selbst: im Widerstand gegen Verwertung, Funktionalisierung und politische Totalisierung.
Ich denke, schon in diesem Ansatz steckt eine Menge an Orientierung, die wir hoffen, in der heutigen Diskussion konkretisieren zu können.

M.H. (aus der Begrüßung zum ROTEN SALON mit Jenny Kellner am 27. Oktober 2025)

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Autorin Jenny Kellner im ROTEN SALON HAMBURG am 27. Oktober 2025

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Moderator Finn Schreiber

Anti-ökonomischer Kommunismus – Batailles nietzscheanische Herausforderung
Der Vortrag im ROTEN SALON im Original
Von Jenny Kellner

Biographisches, historischer und intellektueller Kontext

Georges Bataille war ein französischer Schriftsteller, Soziologe und Philosoph, der von 1893 bis 1962 lebte und von den frühen 30er bis zu den frühen 60er Jahren als der federführende linke Intellektuelle Frankreichs bezeichnet werden kann. (In dieser Position wurde er in den 60er Jahren von Jean-Paul Sartre abgelöst, dessen Name heute, zumal in Deutschland, sehr viel bekannter ist als derjenige Batailles.)
Bataille hatte nie eine akademische Position inne, sondern verdiente seinen Lebensunterhalt als Angestellter der Nationalbibliothek Frankreichs. (Diese Position ermöglichte es ihm, das berühmte Passagen-Werk Walter Benjamins, mit dem er zeitweise in engem Austausch stand, über den Krieg zu retten, indem er es in der Nationalbibliothek versteckte.)
Man kann seinen Schriften durchaus einen anti-akademischen Zug oder Gestus zusprechen; dennoch war Bataille ein hoch engagierter und sehr umtriebiger Intellektueller, der sich in philosophisch außerordentlich anspruchsvollen theoretischen Auseinandersetzungen auf der Höhe seiner Zeit befand, und der den gesellschaftskritischen Diskurs mit seinen Arbeiten und seinem Engagement maßgeblich mitbestimmte und vorantrieb.

Er gründete verschiedene Gruppen und Zeitschriften (u.a. das Collège de Sociologie, das es sich zur Aufgabe machte, eine aktuelle Soziologie des Sakralen zu entwickeln, die Zeitschrift Documents, die antifaschistische Gruppe Contre-Attaque gemeinsam mit dem berühmten Surrealisten André Breton sowie die sehr einflussreiche Zeitschrift Critique, in der Berühmtheiten wie Michel Foucault unter Batailles redaktioneller Führung erstmals veröffentlicht wurden, und die bis heute unter den von Bataille vor vielen Jahrzehnten bestimmten Grundsätzen weiterhin herausgebracht wird) und er publizierte zahlreiche philosophische Monographien, theoretische Essays und literarische Erzählungen. In Deutschland ist er vor allem für diese letzteren bekannt, die in deutscher Übersetzung gesammelt unter dem Titel Das obszöne Werk erschienen sind. Es handelt sich um erotische bis pornographische fiktionale Texte, die gleichwohl in enger Verbindung zu seiner Philosophie und Gesellschaftsanalyse stehen. (Auf diesen Zusammenhang kommen wir später sicher nochmal zurück.)

Das geistige, intellektuelle Umfeld Batailles setzt sich aus verschiedenen gesellschaftskritischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Perspektiven zusammen:
Er war natürlich sehr vom Marxismus beeinflusst, obwohl er nie Mitglied der Kommunistischen Partei war. Sein Verständnis der marxistischen Theorie war dabei stark durch den Blick des berühmten französischen Hegel-Kommentators Alexandre Kojève geprägt.
Dessen Hegel-Vorlesungen hatte Bataille in den 30er Jahren in Paris regelmäßig besucht, was für die gesamte französische Intelligenzia dieser Zeit gilt und Kojève war umgekehrt Mitglied des von Bataille gegründeten Collège de Sociologie gewesen. (Kojève hatte mit seiner Hegel-Interpretation enormen Einfluss auf die gesellschaftskritische Theoriebildung in Frankreich und gilt daher heute als einer der Wegbereiter der sogenannten Postmoderne.)

Die neu aufgekommene Wissenschaft der Ethnologie hat Batailles Denken ebenfalls stark geprägt. Der französische Ethnologe Marcel Mauss hat mit seinem Essay über die Gabe, in dem es um den in indigenen Gesellschaften verbreiteten Brauch geht, ostentative selbstruinöse Geschenke zu machen, um das eigene Prestige zu steigern, wobei Reichtümer in beachtlichen Mengen profitlos verschwendet und zerstört werden, ein ganzes Gebiet der Sozialphilosophie angestoßen, nämlich das Gebiet einer ‚Soziologie der Gabe‘, die bis heute im Anschluss an Mauss die Möglichkeiten und Bedingungen sozialer Tauschformen ohne Profit untersucht.
Eine weitere damals recht neue Wissenschaft, mit der Bataille sich intensiv auseinandersetzte und die eine Voraussetzung der Debatten innerhalb seines intellektuellen Umfelds bildete, war die psychoanalytische Theorie Sigmund Freuds. Der berühmte französische strukturalistische Psychoanalytiker Jacques Lacan war ein enger Freund Batailles und in seiner Theoriebildung seinerseits stark von Bataille beeinflusst.

Auf künstlerischer Ebene stand Bataille (zeitweise) in sehr enger Verbindung mit den französischen Surrealisten um André Breton. Batailles literarisches Werk wird bisweilen selbst der Strömung des Surrealismus – der sich übrigens in den 30er Jahren auch als politische Bewegung, nämlich als antifaschistische Bewegung verstand – zugeordnet. Bataille hat in dieser Zeit verschiedene antifaschistische Gruppen gegründet – eine davon, wie bereits erwähnt, war die gemeinsam mit Breton gegründete Gruppe Contre-Attaque. Der aufkommende Faschismus, bei dessen Bekämpfung die Kommunistische Partei offenkundig scheiterte, ist eine entscheidende historische Begebenheit, die Batailles intellektuelles Engagement und auch die Richtung des Denkens, das er entwickelte, mitbestimmt hat. (Daher ist es aus heutiger Sicht eine spannende Frage, ob Batailles theoretischer Apparat im Hinblick auf das Verständnis rechter Bewegungen und im Hinblick auf die Entwicklung von Strategien zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus fruchtbar gemacht werden kann.)

Neben Marx, Hegel, der Ethnologie im Anschluss an Marcel Mauss, der Freudschen Psychoanalyse und dem Surrealismus, war der wichtigste Denker, der Batailles Werk beeinflusst hat (und zwar interessanterweise gerade im Zusammenhang mit Batailles antifaschistischen Engagement seit den frühen 30er Jahren): Friedrich Nietzsche. Bataille versuchte, Nietzsches Werk gegen nationalsozialistische und faschistische Inanspruchnahmen und Interpretationen (die ja nicht weit hergeholt waren, da Nietzsches Schwester glühende Nationalsozialistin und Hitler ein glühender Verehrer Nietzsches waren) zu verteidigen. Er verfasste eine Reihe von kurzen Studien zu Nietzsches Philosophie sowie zwei Monographien. All diese Texte über Nietzsche entstanden innerhalb eines guten Jahrzehnts um den Zweiten Weltkrieg herum, und Bataille versucht darin nicht nur, Nietzsche vor faschistischen Besetzungen zu retten, sondern er mobilisiert Nietzsches Denken selbst gegen den Faschismus und entwickelt eine Art ‚nietzscheanischen Antifaschismus‘. (Ich werde darauf später noch ein wenig genauer eingehen.)

Der Einfluss der Nietzscheinterpretation Batailles auf die französische Nietzscherezeption in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann gar nicht groß genug eingeschätzt werden: Die Dekonstruktion Derridas sowie der Poststrukturalismus von Foucault und Deleuze haben ganz wesentlich mit Aspekten der nietzscheanischen Philosophie zu tun, die sie für sich produktiv gemacht haben, was ohne die intensive und nachdrückliche Bezugnahme Batailles auf Nietzsche nicht möglich gewesen wäre. Derrida und Foucault beziehen sich ihrerseits auch explizit positiv auf Bataille.

In meiner Dissertation versuche ich, das Denken Batailles, insbesondere in seinen Bezügen zu Nietzsche, zu aktualisieren und zu politisieren. Denn Batailles philosophisches Werk scheint mir (zumal in Deutschland – zumal in der akademischen Philosophie) ungerechtfertigterweise völlig unterbelichtet zu sein, obwohl es sich für aktuelle Probleme und Fragestellungen als äußerst fruchtbar erweist. Aufgrund dieser Fruchtbarkeit gibt es auch seit ca. 15 bis 20 Jahren eine Art Bataille-Renaissance in der internationalen geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Forschung, wobei vor allem Batailles ökonomietheoretisches Werk im Fokus des Interesses steht. (Auf die Besonderheiten der ökonomietheoretischen Position Batailles komme ich später zurück.)
Bereits in den 1970er Jahre wurde Batailles Werk vielfach politisch-praktisch gelesen, damals vor allem im Zuge der sexuellen Revolution im Zusammenhang mit seinen erotischen Überschreitungsfiguren. (Auch hierauf kommen wir später noch einmal zurück.) Da Batailles Denken selbst politisch, gesellschaftskritisch, antifaschistisch und kapitalismuskritisch motiviert ist, liegt es eigentlich auf der Hand, dieses Denken in einem politischen Kontext zu lesen und produktiv zu machen.
Aber es lässt sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bataille für die gesellschaftstheoretischen, selbst für die gesellschaftskritischen Mainstream-Diskurse eine absolute Randfigur war und ist; sein Denken und Schreiben entspricht nicht den geläufigen Denk- und Lesegewohnheiten und den gängigen geisteswissenschaftlichen Schemata und stellt für jede, die sich damit auseinandersetzt, eine Herausforderung dar. Umso mehr freue ich mich, Euch das Ergebnis, das bei meiner Auseinandersetzung mit Bataille herausgekommen ist, dieses Buch nämlich, heute vorstellen zu dürfen.

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Jenny Kellner (rechts) mit Finn Schreiber

Anti-ökonomischer Kommunismus: eine kurze Rekonstruktion der Begriffsentwicklung

Der entscheidende zentrale Aspekt, den Bataille an Nietzsches Denken hervorhebt, ist, dass es sich um ein paradoxes Denken handelt. Nietzsches Philosophie ist widersprüchlich. Die Widersprüche werden darin nicht aufgehoben, wie es bei Hegel der Fall ist, dessen Dialektik eine Bewegung des Denkens bezeichnet, in der These und Gegenthese letztlich immer synthetisiert, das heißt, in einer Synthese aufgehoben werden. Bei Nietzsche werden die Widersprüche Bataille zufolge vielmehr an ihr Extrem getrieben. In der Monographie Nietzsche und der Wille zur Chance (während des Zweiten Weltkriegs geschrieben, 1945 veröffentlicht, in deutscher Übersetzung erst 2005 erschienen) schreibt Bataille: „Wer versuchen würde, wie ich es getan habe, ans Ende des Möglichen zu gehen, wozu sie [Nietzsches Lehre des Paradoxen; JK] auffordert, würde seinerseits zu einem Feld unendlicher Widersprüche werden.“
Man kann sich hier schon vorstellen, wie Bataille Nietzsche antifaschistisch mobilisiert: Wenn Menschen zu Feldern unendlicher Widersprüche werden, können sie weder dem einen ‚Führer‘ folgen, noch sich mit der einen Nation identifizieren, noch den einen klaren Feind identifizieren. Nationalistische und faschistoide Ideologien stehen alleine schon aufgrund ihres Mangels an Komplexität im diametralen Gegensatz zu Nietzsches ‚Lehre‘. Die paradoxe Aufforderung von Nietzsches Zarathustra – „folgt mir, indem ihr niemandem, nur euch selber folgt“ – mag den zutiefst antiautoritären und zugleich widersprüchlichen Zug dieses Denkens pointiert illustrieren.

Meine Auseinandersetzung mit Batailles Nietzscheanismus, die das Ziel einer Politisierung und Aktualisierung dieses Denkens verfolgte, konnte also selber nicht anders, als ebenfalls einen paradoxen Begriff zu entwickeln: Den Begriff des anti-ökonomischen Kommunismus. Denn:
Wie kann die Idee des Kommunismus, die doch vor allem eine der Gleichheit aller ist, anti-ökonomisch funktionieren? Um in einer idealen kommunistischen Gesellschaft das Lebensrecht aller zu realisieren, braucht es doch eine hoch rationale und effiziente Ökonomie! Wie sonst sollen lebenswichtige Güter gleich verteilt werden? Wie sollte es ohne ökonomisches Kalkül möglich sein, die Bedürfnisse aller in angemessenem und gerechtem Maß zu befriedigen? Impliziert nicht der Begriff der Gleichheit selbst bereits ein ökonomisches Denken, nämlich eines, das die grundsätzliche Vergleichbarkeit von Werten voraussetzt? Ein Kommunismus ohne Ökonomie ist nicht nur nicht realisierbar, sondern er ist nicht einmal denkbar! [Wobei hier kurz darauf hingewiesen sei, dass in meiner Begriffskonstruktion das Anti-ökonomische keinesfalls einfach als Nicht-Ökonomisches zu verstehen ist, das heißt, dass ein anti-ökonomischer Kommunismus keiner sein soll, der einfach außerhalb jeder Ökonomie steht, sondern das Anti- zeigt eine besondere Beziehung zum Ökonomischen an – eine Beziehung, die nicht schlichte Negierung ist, sondern sich als ‚Anfechtung‘ erweist. Was das genau heißt, kann ich hier noch nicht genau ausführen, aber der Begriff der Anfechtung stammt aus Batailles Schriften und wird in meiner Arbeit sehr Ausführlich behandelt. Hier mag zunächst der Hinweis genügen, dass Anti und Anfechtung etwas anderes als schlichte Negierung bedeuten.]

Aber zurück zu der Überlegung, dass ein Kommunismus ohne Ökonomie undenkbar ist. Das ist sicher richtig. Doch zugleich ist es gerade der radikale Gleichheitsgedanke des Kommunismus, der ihn als Ideologie, trotz der Gerechtigkeit, die damit angestrebt wird, auch unerträglich macht: Man stellt sich eine kalte, planwirtschaftlich durchorganisierte, verwaltete Welt der Objekte vor, in der es keine Singularitäten, nichts Unvorhergesehenes und nichts Irrationales gibt und in der alle Einzelnen auf ihre gesellschaftliche Funktion reduziert werden, durch die sie dem großen Ganzen, der gerechten Gesellschaft, dienen – denn anders ist die Befriedigung der Bedürfnisse aller nicht zu realisieren.

Deshalb schreibt Bataille in seinem Aufsatz Nietzsche im Lichte des Marxismus, dass das Denken Nietzsches ebenso wichtig sei wie der Kommunismus. Denn Bataille, der dem kommunistischen Projekt durchaus affirmativ gegenübersteht, sofern ihm zufolge allein der Kommunismus das „Generalproblem“ der Menschheit stellt, zieht aus Nietzsches Philosophie einen radikalen, auf das einzelne Individuum bezogenen Freiheitsbegriff. Das Wesentliche an Nietzsche sei, so Bataille, dass er sich weigere, irgendeiner Sache zu dienen, sich irgendetwas unterzuordnen – keiner anderen Person, keiner Ideologie, keiner Moral, keiner Wissenschaft, keinem politischen Projekt, auch keiner ‚besseren Zukunft‘.
Ein Mensch, der in diesem nietzscheanischen Sinn ‚frei‘ ist, kann sich selber nicht zum Mittel irgendeines außer ihm selbst in seiner augenblicklichen Existenz liegenden Zweckes machen, so wie die Revolutionär*in sich zu einem Mittel zum Zweck der Errichtung einer besseren zu kommenden Gesellschaft macht. Nietzsche behauptet zudem eine absolute Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit des Individuums und steht daher demokratischen und kommunistischen Gleichheitsidealen ebenso feindlich gegenüber wie einer alles gleichmachenden, alles homogenisierenden Ökonomie.

In dem genannten Aufsatz, Nietzsche im Lichte des Marxismus, versucht Bataille, eine paradoxe Verbindung zwischen Nietzsche und dem Kommunismus aufzuzeigen. Denn bei beiden handelt es sich um emanzipatorische Perspektiven: das kommunistische Projekt strebt die Befreiung der gesamten Menschheit an: ihre Emanzipation aus Ausbeutungsverhältnissen. Nietzsche hingegen geht es um die Emanzipation des einzelnen Menschen aus jeglicher Unterordnung.

Gewissermaßen kollidieren diese beiden Emanzipationen miteinander und schließen sich gegenseitig aus. Denn das kommunistische Projekt ist auf eine große Zahl von Individuen angewiesen, die ihre persönliche augenblickliche Freiheit der Verwirklichung dieses gesellschaftspolitischen Projekts unterordnen. Die Revoltionär*in tut nicht, wonach ihr gerade ist, sondern fühlt sich verpflichtet, für eine bessere Zukunft zu kämpfen und zu diesem Zweck der Doktrin und der Organisation der revolutionären Partei zu folgen. Nietzsches absolut souveränes Individuum hingegen verweigert sich strikt einer solchen Unterordnung seiner augenblicklichen Existenz unter egal welches Ziel, unter egal welche Doktrin. So stehen beide Emanzipationen einander also entgegen.

Andererseits ist die kommunistische Emanzipation ohne die nietzscheanische wertlos und umgekehrt lässt die nietzscheanische Emanzipation sich ohne die kommunistische nicht verwirklichen. Denn ein Kommunismus, der die Freiheit der Einzelnen untergräbt – egal wie sehr diese Untergrabung dem Allgemeinwohl dienen mag – untergräbt damit letztlich auch den eigenen emanzipatorischen Anspruch. Die Menschen werden aus bestimmten Ausbeutungsverhältnissen befreit, bleiben aber dennoch wesentlich unfrei. Die nietzscheanische Emanzipation kann aber nur dann erfolgen, wenn zunächst das Lebensrecht der Einzelnen – und zwar aller einzelnen – realisiert wird:

Um frei zu sein, muss ich zunächst einmal gut leben können. Für Bataille bezieht sich die radikale Freiheit, die Nietzsche selber nur einigen wenigen großen Ausnahme-Individuen zuspricht, notwendig auf alle, da es sich um eine Freiheit handelt, die auch grundlegende Herrschaftsfreiheit impliziert. In seiner Hegellektüre, genauer: in seiner Interpretation der Hegelschen Herr-Knecht-Dialektik, zeigt Bataille, dass Herrschaft immer gleichzeitig Knechtschaft bedeutet, nicht nur weil der Herr auf die Anerkennung des Knechts angewiesen ist, um Herr sein zu können, sondern vor allem deshalb, weil er im selben Zug, indem er sich den Knecht dienstbar macht – indem er ihn für sich arbeiten lässt – selber seine eigene Souveränität aufgibt: Er begibt sich selbst auf die Ebene der Dinge, sagt Bataille, er wird selber zum Ding.
Die nietzscheanische Souveränität ist aber nach Bataille eine totale Souveränität, die keinerlei Knechtschaft und daher auch keinerlei Herrschaft impliziert – nicht einmal die Herrschaft über sich selbst. Deshalb ist die nietzscheanische Souveränität, wie Bataille sie versteht, keinesfalls mit Autonomie gleichzusetzen. Autonomie ist Selbstbestimmung im Gegensatz zur Heteronomie, zur Fremdbestimmung. Aber Autonomie ist eben immer noch Bestimmung. Souveränität aber, in Batailles Verständnis, hat mit Bestimmung, mit Beherrschung, mit Kontrolle, und auch mit Besitz nicht das Geringste zu tun. Es handelt sich um ein schwer greifbares Konzept, um etwas, das sich selbst nicht festhalten, nicht bestimmen lässt. Man kann diese Souveränität nicht besitzen wie ein Ding oder wie eine Eigenschaft, man kann sie eher augenblickshaft erfahren. Es gibt souveräne Augenblicke. Hierfür stellen für Bataille die Bereiche der Kunst, der formlosen Aufstände und auch der Erotik privilegierte Plätze dar. Es sind Bereiche, in denen nicht kalkuliert, nicht berechnet, kein bestimmter Zweck verfolgt, kein zukünftiges Resultat angestrebt wird, sondern in denen Energien profitlos und ohne Reserve, ohne Zurückhaltung verschwendet werden.
Es sind, mit meinem Wort, anti-ökonomische Bereiche der Existenz.

Weil aus diesem Souveränitätsbegriff die Negierung jeglicher Unterordnungs-, jeglicher Herrschaftsverhältnisse folgt, muss diese Souveränität notwendig allen zu kommen. Das heißt, dass die nietzscheanische Emanzipation nicht nur einzelnen Ausnahmeindividuen zugesprochen werden kann, sie muss für alle gelten. Das liegt auch daran, dass diese Art von Erfahrung nur in Beziehungen, in Gemeinschaft gelebt werden kann. Damit sie aber wirklich von allen erfahren und gelebt werden kann, muss für ein gutes Leben aller gesorgt sein – womit wir wieder beim Kommunismus angekommen wären.

Keine nietzscheanische Emanzipation ohne kommunistische, keine Kommunistische Emanzipation ohne nietzscheanische – und zugleich untergräbt die eine die andere und umgekehrt. Das ist das Dilemma, das Paradox, das Bataille als Sympathisant des kommunistischen Projekts und als glühender Nietzscheaner aufstellt und das sich für mich mit der philosophischen Herausforderung verbunden hat, den Begriff eines anti-ökonomischen Kommunismus zu entwickeln. Das ist die nietzscheanische Herausforderung Batailles, auf die der Untertitel meines Buches anspielt.

Dieser paradoxe Begriff ist ein spekulatives Konzept (also ein abstrakter philosophischer Begriff, ein Ergebnis spekulativen Denkens), das trotzdem nicht folgenlos für politisch-praktische Fragen bleibt. Mit diesem Konzept soll das kommunistische Gleichheitsideal so gedacht werden, dass es dabei um die radikale Ungleichheit aller geht, um eine Ungleichheit, die nicht messbar, weil eben nicht vergleichbar, nicht homogenisierbar, nicht rationalisierbar ist. Es geht um den Aspekt der Existenz, der nicht nutzbar gemacht werden kann – der aber auch gerade deshalb sprachlich kaum zu fassen ist, da die Sprache, die wir alle sprechen, diejenige des rationalen Diskurses ist.
Wir denken in Begriffen. Begriffe sind Gleichmacher (ebenso, wie das Kapital ein Gleichmacher ist); Begriffe identifizieren das Nicht-Identische (wie Adorno sagen würde), indem sie konkrete Einzelfälle unter Allgemeines subsumieren. Nun ist der anti-ökonomische Kommunismus gerade ein Begriff für das, was sich aller Gleichmacherei, also auch allem Begrifflichen entzieht und entgegenstellt, also gewissermaßen ein Nicht-Begriff oder ein Anti-Begriff und trotzdem ein Begriff.

Ich versuche, diesen Begriff im Ausgang von Bataille und Nietzsche zu bilden und arbeite dabei verschiedene Aspekte heraus, von denen ich bis hierhin bereits einige angedeutet habe.
Radikale Freiheit, Gleichheit unter dem Aspekt radikaler Ungleichheit, Antifaschismus, Gemeinschaft, eine Ökonomie der Verschwendung (der profitlosen Verausgabung). In meinem Buch arbeite ich diese Aspekte und die ihnen innewohnenden Widersprüche in verschiedenen Dimensionen anhand verschiedener Werkauszüge und philosophischer Argumente in drei reflexiv auf einander bezogenen Hauptkapiteln durch. (Die Kapitel heißen „Bataille mit Nietzsche wider den Faschismus“, „Das Verlangen nach der Gemeinschaft“ und „Die Herausforderung des anti-ökonomischen Kommunismus“.) Hier und heute kann ich natürlich nicht die gesamte Konstruktion und alle Rekonstruktionen, aus denen sie besteht, vorstellen. Aber ich möchte im letzten Teil nun zumindest noch einige Aspekte etwas genauer skizzieren und ein paar Begriffe umreißen, die im Zusammenhang mit dem anti-ökonomischen Kommunismus zentral sind, und ich möchte versuchen, ihre politische Bedeutung und Aktualistät anzudeuten, worauf wir in der Diskussion dann vielleicht noch weiter eingehen können. Es handelt sich erstens um den Begriff des Heterogenen, den Bataille in seiner Faschismusanalyse von 1933 prägt, zweitens um Batailles speziellen Verständnis von Gemeinschaft und Kommunikation und drittens um die ‚Allgemeine Ökonomie‘ Batailles im Zusammenhang mit seinem bereits erwähnten Souveränitäts-Begriff.

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Jenny Kellner

AKTUALISIERUNG UND POLITISIERUNG ZENTRALER KONZEPTE

Das Heterogene (Faschismusanalyse, radikaler Pluralismus)

In seinem Aufsatz Die psychologische Struktur des Faschismus von 1933, versucht Bataille, die faschistische Bewegung anhand einer spezifischen Gesellschaftsanalyse zu erklären: Er definiert die Gesellschaft im Allgemeinen (also jede beliebige Gesellschaft) über zwei Sphären, aus denen ihm zufolge grundsätzlich jede Gesellschaft besteht. Diese Sphären bezeichnet er als die homogene Sphäre einerseits und die heterogene Sphäre andererseits. Während die homogene Sphäre alles umfasst, was der Produktivität dient, das heißt, alles was mit dem Erzeugen wichtiger Güter zu tun hat, alles, was der Gesellschaft nützlich ist und also ihrem Erhalt dient, finden sich auf der heterogenen Seite einer jeden Gesellschaft sämtliche Elemente, die aus der homogenen Sphäre herausfallen, also alles, was nicht nützlich, nicht produktiv, nicht gesellschaftserhaltend ist.

Das Heterogene wird von Bataille also zunächst rein negativ, nämlich als das Nicht-Homogene bestimmt. (Genauso wie Émile Durkheim in seiner Religionssoziologie das Sakrale (also das Heilige) nur ex negativo als das Nicht-Profane (was ebenfalls soviel heißt wie: das Nicht-Nützliche) zu bestimmen vermag. Zwischen dem Heiligen und dem Heterogenen besteht Batailles eigener Angabe zufolge eine enge Verbindung, beziehungsweise kann das Heilige selbst als ein Beispiel, eine Instanz des Heterogenen, wie Bataille es fasst, verstanden werden.)

Obwohl das Heterogene seiner Natur nach (ebenso wie die vorhin erwähnte radikale ‚Souveränität‘) sprachlich schwer fassbar ist und sich der Festschreibung strukturell entzieht (denn, wie gesagt: die Sprache, das begriffliche Denken, machen gleich, sie homogenisieren, während das Heterogene gerade das Wort für dasjenige ist, was sich eben überhaupt nicht gleichmachen lässt), versucht Bataille durchaus, es auch positiv zu bestimmen und Beispiele für heterogene Elemente zu geben. So gehören ihm zufolge die obersten und untersten Schichten der Gesellschaft zur heterogenen Sphäre, also der Adel und das Elend (denn sie produzieren nichts und nützen der Gesellschaft daher nicht oder kaum); heterogen in diesem Sinne sind außerdem Gewalt und generell alle heftigen Affekte, alles Maßlose und Exzessive, alles Zerstörerische, das Unbewusste, wie Freud es versteht, die Träume und Neurosen, das Delirium, der Wahnsinn, aber auch, wie Bataille schreibt, „die Masse, das Militär, bestehend aus Aristokraten und Lumpenproletariern, alle Arten von gewalttätigen oder renitenten Individuen (Verrückte, Aufrührer, Dichter etc.).“ (PSF: 17)

Die homogene Sphäre kann das Heterogene nicht wirklich fassen oder verstehen, sie tendiert dazu, es zu auszuschließen, es zu verleugnen, es moralisch zu verdammen, es als Abfall und Unrat von sich abzustoßen (Abfall übrigens ist selbst ein heterogenes, weil nutzloses Element, das, wie wir alle wissen und ständig zu verleugnen versuchen, paradoxerweise gerade unsere durchrationalisierte kapitalistische Gesellschaft in exorbitanten Mengen hervorbringt).

Gleichzeitig aber, so behauptet Bataille, ist die homogene Sphäre auf das Heterogene angewiesen, denn das Homogene kann sich nicht aus sich selbst heraus rechtfertigen. Es kann nur immer in Kategorien von Nützlichkeit, das heißt, in Zweck-Mittel-Relationen denken, aber alle nützlichen Mittel müssen am Ende einem Zweck dienen, der selber nicht nützlich ist. (Denn sonst wäre es ein infiniter Regress: jedes Mittel wäre immer nur nützlich in Bezug auf einen Zweck, der selber wieder bloß nützliches Mittel in Bezug auf einen anderen Zweck wäre usw. usf.) Das heißt, der eigentliche Zweck, dem alle nützlichen Mittel, also alle homogenen Elemente, dienen, kann selber kein homogenes Element, sondern muss der homogenen Sphäre vollkommen heterogen sein: etwas ganz anderes als alles Homogene, als alles Vergleichbare, als alles, das sich auf einen monetären Nenner bringen ließe (wie es bei jedem homogenen Element der Fall ist).

Gewissermaßen kann man also sagen, dass Bataille den letztlichen Sinn alles Menschlichen Tuns in der heterogenen, in der nicht-nützlichen, nicht-zweckmäßigen und nicht berechenbaren Existenz sieht. Da dieser Bereich aber im Zuge des Rationalisierungsprozesses der Gesellschaften mehr und mehr verdrängt und verleugnet wird, kommen die Menschen, salopp formuliert, immer weniger ‚auf ihre Kosten‘. Sie müssen sich zunehmend alles Hemmungslose und Exzessive versagen, sich für alles Heterogene, alles Intensiv-Affektive und Irrationale schämen.

An dieser Stelle setzt der Faschismus als Massenbewegung an. Die Figur des faschistischen ‚Führers‘ ist insofern als heterogenes Element zu betrachten, als sie die maßvolle und vernünftige Existenz durchbricht, den eigenen Herrschaftsanspruch nicht in erster Linie rational, sondern vielmehr affektiv und charismatisch begründet und sich als Diktator außerhalb von Moral, Gesetz und Recht stellt. Die glühende Führer-Verehrung, die Massenekstase des faschisierten Volkes und der Glaube an eine nationale Mythologie einer glorreichen Volksgemeinschaft erklären sich für Bataille aus jenem tiefen Bedürfnis nach einer gesteigerten Intensität im Leben, nach dem heterogenen Sinn der langweiligen, berechenbaren, durchrationalisierten und arbeitsförmigen Existenz, durch die die Menschen zu bloßen Mitteln degradiert werden (in kapitalistischen Gesellschaften zu Mitteln, die dem Kapital dienen, das zum alleinigen Subjekt wird). So könnten auch heute die Erfolge populistischer Figuren erklärbar werden: Sie sind in dieser Perspektive nicht trotz ihrer offenkundigen Irrationalität attraktiv, sondern vielmehr wegen ihr.

Allerdings erscheint der Faschismus Bataille nicht einfach nur als heterogen im Vergleich zur bürgerlichen, demokratischen, marktliberalen Gesellschaft, sondern er zeichnet sich für Bataille durch eine perverse Verbindung des Heterogenen mit dem Homogenen aus. So waren die Regierungen Hitlers, Mussolinis und Francos aufs Engste mit dem Großkapital verbandelt (und genauso verhält es sich auch heute mit den rechtspopulistischen Parteien). Effizienzsteigerung, Produktivität und Gleichschaltung sind wesentliche Ziele faschistischer Regierungen. Während sie also auf einer bestimmten Ebene den heterogenen Teil der Menschen ansprechen und dessen Bedürfnisse befriedigen, treiben sie auf einer anderen Ebene die Homogenisierung, die Gleichschaltung und damit die Unterdrückung alles Heterogenen, alles Fremden, Andersartigen und Bunten in extremer Weise auf die Spitze.

Hier zeigt sich, dass das Heterogene eben auch als ein anderer Begriff für das Queere, das ‚Zwischen‘, das Undefinierte, das Non-Binäre fungieren kann. Die Heterogenität, wie Bataille sie versteht, läuft auf einen radikalen Pluralismus hinaus, gerade weil es die Einzigartigkeit und Undefinierbarkeit aller Einzelwesen bezeichnet. Das Heterogene dient Bataille also einerseits zur Erklärung für den Erfolg faschistischer Bewegungen, die auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft wachsen können, weil die bürgerliche Gesellschaft selber dazu tendiert, alles Heterogene auszuschließen. Das Heterogene wird im Rationalisierungsprozess moderner Gesellschaften gewissermaßen ins kollektive Unbewusste verdrängt und bricht sich irgendwann in katastrophischer Weise bahn. Andererseits ist das Heterogene aber auch dasjenige, was emanzipatorische Bewegungen und progressive Revolutionen ermöglicht: denn es ist eben der Teil der Existenz, der radikal frei ist, der sich nicht rationalisieren und homogenisieren, sich nicht unterdrücken, nicht einfangen, nicht dingfest machen lässt. Er erscheint als eine jede Ordnung durchbrechende Gewalt, also eben auch als revolutionäre Kraft. Damit ist das Heterogene auf der gesellschaftstheoretischen Ebene zunächst einmal ein analytischer Begriff, ein soziologisches Analyseinstrument. Auf politischer, praktischer Ebene ist es zugleich Gefahr (Gefahr der Gewalt, der Faschisierung) und Chance (die Chance auf eine progressive Umwälzung ungerechter, bedrückender, gleichmacherischer Verhältnisse).

Gemeinschaft, Kommunikation, ‚innere Erfahrung‘ (Kritik des Handelns, des Projekts)

Gemeinschaft und Kommunikation sind bei Bataille ganz anders zu verstehen, als wir das normalerweise tun: Die Gemeinschaft, von der Bataille spricht, hat nichts mit positiv gegebenen Personengruppen zu tun, sie hat nicht einmal etwas mit Intersubjektivität zu tun, sondern es geht hier um einen existenziellen Bereich, in dem der Mensch sein Subjekt-Sein vielmehr aufgibt und verliert, indem er seine Ich-Grenzen überschreitet. Kommunikation meint bei Bataille nicht den Austausch von propositionalen Gehalten, also nicht das Vermitteln von Aussagesätzen zwischen irgendwelchen ‚Sendern‘ und ‚Empfängern‘, sondern kommuniziert in Batailles Verständnis wird dort, wo Subjekte oder Personen wesentlich ‚versehrt‘ sind, wo sie ‚Wunden‘ haben und sich daher ‚öffnen‘ (jede Öffnung ist eine Wunde).

Zwischen intakten, integren Wesen kann es Bataille zufolge überhaupt keine Kommunikation geben. Kommunizieren heißt in diesem Verständnis, dasjenige einzulassen, was mir selber völlig fremd ist, was ich nicht kenne und worüber ich nichts weiß. So etwas wie Beziehung und Gemeinschaft entsteht da, wo die Einzelnen sich selbst verlieren und sich auf das völlig Unbekannte und Neue hin öffnen. Das mag zunächst etwas mystisch klingen und Bataille definiert die Gemeinschaft tatsächlich über einen dem Mystizismus entlehnten Begriff, nämlich über den Begriff der ‚inneren Erfahrung‘.

Die innere Erfahrung wird von Bataille wiederum definiert als „das Gegenteil des Projekts“. Das Projekt ist unsere ganz normale alltägliche Seinsweise: Immer, wenn wir handeln (und wir handeln ja ständig), verfolgen wir ein spezifisches Projekt, wir suchen nach den besten Mitteln, um bestimmte Ziele zu erreichen, bestimmte Zwecke zu verwirklichen. Die innere Erfahrung aber stellt sich dann ein oder wird dann erlebt, wenn wir aufhören, Projekte zu verfolgen, wenn wir aufhören zu handeln. Denn das, was wir ‚intimerweise‘ sind, ist etwas anderes als ein rationales, kluges Ich.

Bataille entfaltet in seinem philosophischen Werk Die Innere Erfahrung (auch dieses schrieb er während des Zweiten Weltkriegs; es erschien 1943) eine grundlegende Kritik des Projekts oder der projekthaften Existenz: Er behauptet, dass die projekthafte Existenz eine knechtische Existenz ist, dass wir immer, wenn wir handeln, prinzipiell unfrei sind, weil wir unsere Existenz, indem wir handeln, auf später verschieben. Wir tun nicht das, was uns im Augenblick gefällt, sondern wir ordnen unser momentanes Verhalten irgendeinem zukünftigen Resultat unter. Wenn wir zum Beispiel arbeiten, tun wir das in der Regel nicht, weil wir gerade Lust dazu haben, sondern weil wir dadurch hoffen, in der Zukunft Mittel zur Verfügung zu haben (also Geld), die unser Überleben sichern. Das ist das Wesentliche des Projekts, dass es sich auf die Zukunft bezieht. Es ist eine Projektion, durch die wir unsere augenblickliche Existenz suspendieren, aufschieben. Wir tun jetzt etwas, nicht weil wir das jetzt gerade gut finden, sondern um später etwas davon zu haben – das ist das Wesen des rationalen Handelns. Kommunizieren und eine Gemeinschaft erfahren können wir aber nur im Augenblick. Diese Gemeinschaft hat keine Dauer; wie das Heterogene lässt sie sich nicht definieren und nicht festhalten. Trotzdem sind wir nur in ihr freie, souveräne Wesen.

Das mag alles zunächst etwas unverständlich klingen, aber im Grunde geht es um ein Aufbrechen der immer gleichen unhinterfragten Art, das Leben zu gestalten. Diese projekthafte Lebensart, die Bataille kritisiert, läuft eben auf die vorhin beschriebene langweilige, durchrationalisierte, homogene Existenz hinaus, bei der wir immer nur mit Selbsterhaltung, mit der Abwehr von Gefahren und dem Anhäufen von Besitztümern beschäftigt sind.

Versucht man sich vorzustellen, was Gemeinschaft, Kommunikation und Innere Erfahrung, wie Bataille sie versteht, für das konkrete Leben und für konkrete Politiken bedeuten könnten, stößt man wieder auf dieses Paradox: Wenn es um das Gegenteil des Handelns geht, dann ist jede Praxis, jede Politik im Grunde ausgeschlossen. Aber gleichzeitig sagt Bataille, dass es die Gemeinschaft nur im konkreten Leben, nur als gelebte Erfahrung geben kann. Es geht ihm also nicht um einen Rückzug in eine solipsistische Innerlichkeit oder um ein Nichts-Tun, sondern es geht ihm um eine andere Art von Tun, um ein Tun, das die Existenz eben nicht auf später verschiebt.
Man kann sich das zum Beispiel in der erotischen Begegnung vorstellen, im Lachen, im Tanz oder im Spiel. Erst hier, wo wir unsere ichbezogene Klugheit aufgeben, behandeln wir uns selbst und andere nicht mehr als nützliche Dinge, sondern als souveräne Wesen.
Und auf einer politischen Ebene kann man sich vielleicht schon vorstellen, dass Batailles Kommunikationsbegriff im Sinne einer Bejahung der Öffnung für das Fremde, Unbekannte und Neue zum Beispiel sehr konkret ganz andere praktische Konsequenzen zeitigen würde als etwa eine restriktive Migrations- und Asylpolitik. Hier deutet sich also erneut eine kommunistische, das heißt: alle umfassende Gemeinschaft der völlig Ungleichen, der radikal heterogenen und freien Existenzen an. Damit handelt es sich hier um radikal pluralistische Konzepte, die im Rahmen der heute angestrebten Diversität als aktuell erscheinen. Und im Zusammenhang feministischer und queerer Theorien ist es nicht uninteressant, dass für Bataille gerade der Bereich der Sexualität und der Erotik ein privilegierter Ort für die Erfahrung der Gemeinschaft und des Heterogenen darstellt.

‚Allgemeine Ökonomie‘: Profitlose Verausgabung & Souveränität (Freiheit, Exzess, Sexualität)

Ich komme jetzt zum letzten Punkt, den ich auch wieder nur kurz andeuten kann, bei dem ihr aber merken werdet, dass es wieder um etwas ganz Ähnliches geht, wie bei den vorigen Punkten. Es geht jetzt zuletzt um die ökonomietheoretische Position Batailles, um das, was er ‚Allgemeine Ökonomie‘ nennt.

Die allgemeine Ökonomie Batailles zeichnet sich gegenüber klassischen bürgerlichen, wie auch gegenüber marxistischen Ökonomietheorien dadurch aus, dass sie nicht vom Mangel ausgeht, sondern vom Überschuss. Bataille wirft der bürgerlichen ebenso wie der marxistischen Ökonomietheorie vor, dass sie von vorneherein eine ‚beschränkte‘ Perspektive einnehmen, weil sie grundsätzlich davon ausgehen, dass Gesellschaften für ihren Selbsterhalt, für die Erhaltung ihres Status quo, produktiv sein müssen. Sie müssen aus der Not heraus, aus der Notwendigkeit zu überleben heraus, produktiv sein, so wie der einzelne Mensch aus Überlebensnotwendigkeit arbeiten muss (was im Übrigen wieder so viel heißt wie ‚handeln‘, ‚Projekte verfolgen‘, was eine ‚homogene‘ Existenz im oben beschriebenen Sinn voraussetzt).

Bataille behauptet nun das Gegenteil und sagt, dass jede Gesellschaft und übrigens auch jedes Einzelwesen immer mehr Energie zur Verfügung hat, als für den schieren Selbsterhalt notwendig ist, dass das grundlegende Problem der Ökonomie also nicht dasjenige des Mangels ist – „was müssen wir tun, um den Mangel auszugleichen, wie können wir überleben?“ –, sondern vielmehr dasjenige des Überschusses: „wie können wir unsere überschüssigen Reichtümer verschwenden, da wir mehr zum Leben haben, als wir brauchen?“

Hier kommen die eingangs bereits erwähnte unproduktive Verausgabung, das Geschenk ohne Gegenleistung, die sinnlose Verschwendung von Materie und Energie ins Spiel.

In seinem 1949 erschienenen ökonomietheoretischen Hauptwerk mit dem Titel Der verfemte Teil schreibt Bataille:
„„Müßiggang, Pyramidenbau und Alkoholgenuß haben gegenüber der produktiven Tätigkeit, der Werkstatt oder dem Brot den Vorzug, daß die Ressourcen, die sie verbrauchen, ohne Gegenwert, ohne Profit verzehrt werden, sie gefallen uns einfach, sie entsprechen der Wahl ohne Not, die wir hier treffen.“[1]

Warum ist es aus Batailles Sicht ein Vorteil, wenn Ressourcen profitlos verbraucht werden? Das Argument funktioniert ähnlich, wie die Überlegungen zum Heterogenen in Batailles Faschismusanalyse: Das Problem ist, dass Reichtümer auf jeden Fall vergeudet werden müssen, weil es eben immer Überschüsse gibt und es schlicht kein unbegrenztes Wachstum geben kann, das diese Überschüsse restlos kompensieren könnte. Wenn wir die Formen der Vergeudung aber nicht bewusst selber wählen (zum Beispiel, weil Müßiggang, Alkohol und Pyramiden uns einfach gefallen, ohne dass eine Notwendigkeit zu ihnen bestünde), dann wählen sie gewissermaßen uns: Sie kommen katastrophisch über uns und haben auf diese Weise sehr viel zerstörerischere Konsequenzen. Man kann hier etwa an blutige Kriege oder an irreversible Umweltschäden denken. Ähnlich wie beim Faschismus kehrt der ‚verfemte Teil‘, das Heterogene, das Irrationale, das Gewaltsame und Exzessive in umso schlimmerer Weise zurück, je stärker wir es verdrängen und verleugnen, ins Unbewusste verbannen.

Dabei ist Bataille durchaus bewusst, dass es ganz real auch so etwas wie Mangel und Not gibt. Er schreibt im Verfemten Teil zum Beispiel sehr konkret über das Problem des Elends in Indien. So würde die allgemeine Ökonomie, die er fordert, ihm zufolge eine großzügige Überführung amerikanischen Reichtums ohne Gegenleistung nach Indien nahelegen.
Letztendlich gibt es keine reinen Formen profitloser Verausgabung, keine vollkommen unproduktiven Tätigkeiten und ebenso wenig gibt es restlos rationale, produktive Tätigkeiten – die objektive Realität hält immer nur Mischformen bereit. Aber Bataille macht deutlich, dass in den modernen Gesellschaften die Verschwendung, das Heterogene und das Souveräne eben tendenziell ausgeschlossen, unterdrückt und verleugnet werden und dass diese Gesellschaften daher die massiven Probleme hervorbringen, mit denen wir auch heute konfrontiert sind: Krieg, Umweltzerstörung, Autoritarismus, Vereinzelung, Sinnlosigkeit, Ödnis…
Die Betonung dieser unterdrückten, scheinbar so irrationalen Aspekte der Existenz bezieht Bataille insbesondere aus Nietzsches Philosophie, die insgesamt ein Plädoyer für eine ‚Entfesselung der Leidenschaften‘ darstellt.

Da, wo heillos verschwendet wird, wo wir uns profitlos verausgaben, wo wir nietzscheanisch anstatt ökonomisch denken, wo wir nichts zurückhalten, keine Reserven aufbewahren, nicht an morgen denken, wo wir überschwänglich sind, da sind wir aus Batailles Sicht heterogene, souveräne Wesen, die so etwas wie Gemeinschaft überhaupt erfahren können. Und mein Wort für diese Art der radikal pluralistischen Gemeinschaft ist ‚anti-ökonomischer Kommunismus‘.


[1] Bataille, Der verfemte Teil, S. 153.

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