Man hat sowas zwar schon gehört, aber wie tief das Denken von Karl Marx mit einem Verständnis von Ökologie verknüpft ist, das erstaunte und faszinierte das Publikum des ROTEN SALON HAMBURG am vergangenen Montag (24.11.) doch. Die imposante Quellenlage bei guter visueller Aufbereitung im Vortrag von Heinrich Detering überzeugte auch viele, die kritisch in die Veranstaltung gekommen waren. Ein ROTER SALON, wie wir ihn uns wünschen! M.H.
Von Finn Schreiber (Text und Foto)
Wenn im Rahmen der Diskussionen um Klimawandel und Ökologie der Name Karl Marx fällt, reagieren die meisten Personen, mit denen man spricht, abweisend. Was soll dieser Mann, der vor 150 Jahren gelebt hat, bitte Wichtiges zu diesem Thema gesagt haben? Waren für ihn nicht die rasanten Entwicklungen der Produktivkräfte im Kapitalismus die Bedingung, um eine kommunistische Gesellschaft einzurichten? Sieht man nicht an realsozialistischen Staaten wie der Sowjetunion, wohin dieses Denken klimatechnisch geführt hat?
So erging es auch dem Literaturwissenschaftler Heinrich Detering, wie man am 24. November 2025 bei uns im gut besuchten Roten Salon erfahren konnte. Detering stellte dort sein neuestes Buch „Die Revolte der Erde – Karl Marx und die Ökologie“ (Wallstein Verlag, 2025) vor.
Der Kapitalismus als Naturgeschichte
Die Diskussion um die Bedeutung und den Stellenwert von Klimafragen und Ökologie in der Marxschen Theorie hat mittlerweile viele Menschen erreicht und ist für die meisten sicherlich nichts Neues mehr. So hat sich beispielsweise der japanische Marxist und Philosoph Kohei Saito bereits mit dem ökologischen Denken Marx’ auseinandergesetzt. Dabei legt er den Fokus auf das Spätwerk von Marx, in dem dieser zunehmend wachstumskritisch gewesen sein soll und sich mit den Möglichkeiten des kommunalen Zusammenlebens in russischen Dorfgemeinschaften als alternative gesellschaftliche Organisationsform auseinandergesetzt hat. Andere Autoren wie der amerikanische Ökosozialist und Soziologe John Bellamy Foster arbeiten (wie auch Saito) mit dem Begriff des „metabolischen Risses” bei Marx. Damit charakterisierte Marx den zunehmend gestörten Stoffwechselprozess von Natur und Gesellschaften im Kapitalismus.
Heinrich Detering wählt einen anderen Weg, um sich diesem Thema zu nähern, der stark mit seiner eigenen Biografie verwoben ist. Ausgehend von den Naturgedichten der romantischen Dichterin Annette von Droste-Hülshoff stieß er auf den Text des 24-jährigen Karl Marx zu den Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz. Anhand dieser Texte und Marx‘ Interesse für die deutsche Romantik in seiner Jugend zeigte Detering die Entwicklung und die wesentlichen Leitmotive des marxschen Denkens über Ökologie und Natur.
Von der Romantik zu Darwin
Marx entwickelte sich schnell weiter und distanzierte sich zunehmend von der Naturverklärung der Romantik. Stattdessen vertiefte er sein Interesse für die aktuellsten Entwicklungen der Naturwissenschaften und das Schaffen von Charles Darwin. Im Zentrum stand für ihn zunehmend das Verhältnis von Menschen und Natur unter kapitalistischen Verhältnissen. So findet sich im „Kapital” (MEW 23, S. 529 f.) folgende Formulierung:
“Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Landwirtschaft ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebene Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. […] Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.”
Dies gilt tatsächlich auch für Marx’ Freund und Wohltäter Friedrich Engels, der sich in ähnlicher Weise wie Marx dem Thema Natur und Ökologie in seinem Text „Menschwerdung des Affen” (MEW 20, S. 452 f.) näherte.
“Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andre, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben.[…] Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, daß wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht – sondern daß wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn, und daß unsre ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen andern Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.”
Somit wurde auch für absolute Marx-Anfänger klar, dass das marxistische Denken von Anfang an einen ökologischen Kern hatte. Heinrich Detering konnte dabei sowohl in diesem ROTEN SALON als auch in seinem Buch detailliert nachweisen, dass dieser Standpunkt bei Marx auch aus seinen Auseinandersetzungen mit den Naturvorstellungen der Romantik resultiert.
Ganz nebenbei erfuhr man, dass die Arbeiten an diesem Buch Heinrich Detering, der diese Bezeichnung vor seiner Beschäftigung mit Marx vielleicht abgelehnt hätte, tatsächlich zu einem Marxisten machten. Das hatten wir als Veranstalter gar nicht auf dem Schirm, was den Vortrag allerdings noch mal ein ganzes Stück authentischer machte. Eine größere Empfehlung, Marx auch einmal selbst zu lesen, gibt es nicht. Auch sein politisches Verhalten passte Detering an – und wurde vom Grün- zum Die Linke-Wähler.

Marxisten müssen neugierig und wissbegierig sein
Für mich ist es besonders beeindruckend, wie neugierig Marx war und wie sehr er sich bemühte, die verschiedensten Themen seiner Zeit zu verstehen, um die gegenwärtigen Verhältnisse akkurat erklären zu können. Insbesondere beeindrucken mich seine umfangreichen Studien zu ihm grundsätzlich fremden naturwissenschaftlichen Themen wie Chemie, Mathematik oder Agrarwissenschaften. Davon sollten sich heutige Marxisten und Gesellschaftskritiker eine Scheibe abschneiden. Wenn es um Themen wie die Finanzmärkte, die Digitalisierung oder die Funktionsweise moderner Lieferketten geht, erweisen sie sich viel zu häufig als unwissend und wenig interessiert. Sicherlich sind dies abstrakte und komplizierte Themen, und man kann erst dann wirkliche Erkenntnisse daraus ziehen, wenn man sich umfangreich mit ihnen auseinandergesetzt hat. Nichtsdestotrotz ist dieser Wille, die gegenwärtigen Verhältnisse verstehen zu wollen, leider viel zu wenig ausgeprägt. Viel lieber bleibt man in den gewohnten Pfaden und führt Diskussionen auf einer Wissensgrundlage, die sich in den letzten Jahrzehnten kaum verändert hat. Wenn die marxsche Theorie jedoch ihrer Bedeutung vollumfänglich gerecht werden soll, dann sollte man sich vor allem eine Eigenschaft von Marx zu Herzen nehmen: die ständige Neugier und das Interesse, neue Dinge und Entwicklungen verstehen zu wollen. Dies ist keine Sache, der sich nur junge Leute annehmen sollten, sondern es scheint, als würde diese Neugier mit dem Fortschreiten des eigenen Lebensalters zunehmend verkümmern. Heinrich Detering konnte dies nicht nur anhand des marxschen Denkens über die Ökologie im Verlauf seines Lebens zeigen. Er zeigte auch eindrucksvoll, wie die Marx-Lektüre sein eigenes Denken maßgeblich veränderte und bestehende Vorurteile gegenüber Marx und seinen Schriften abbaute. Und übrigens sind er und Marx selbst beste Beispiele, dass das Interesse an Neuem im Alter nicht nachlassen muss.
