Nachbesprechung des ROTEN SALON HAMBURG am 15. September 2025,
einer Lesung/Performance von JAJAJA! mit Iris Minich und Arvild Baud mit Auszügen aus dem „Kommunistischen Manifest“
Von Henry Grotkasten (Text und Foto)
Montag abend veranstaltete der ROTE SALON HAMBURG mit dem Künstlerkollektiv „JAJAJA!“ eine Lesung des „Kommunistischen Manifests“ im Vortragsraum der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, zu dessen Einführung Michael Hopp einen Text des 2012 verstorbenen britischen Historikers Eric Hobsbawn über die Editionsgeschichte des „Manifest“ des 2012 vorlas. Leider war die Veranstaltung weniger besucht, als wir es uns erhofft hatten, und auch mit dem Ergebnis, der größtenteils improvisierten Lesung, waren wir eher ‚durchwachsen‘ zufrieden. Für mich persönlich war die etwas mehr als einstündige Lesung – offen gestanden – ziemlich anstrengend.
Die Veranstaltung als völligen Reinfall abzutun, würde wiederum zu kurz greifen. Der Anspruch war hoch, schon in den Ankündigungen wurde der Vergleich mit berühmten Lesungen von Katharina Thalbach oder Rolf Becker angestellt. Im nachhinein lässt sich sagen: Bei dem Aufeinandertreffen der verspielten, virtuosen Art von „JAJAJA!“ mit dem aus Marx’ und Engels’ Theorie gewachsenen und seinem historischen Hintergrund bestehenden Manifest, sind nicht unbedingt (um es milde auszudrücken) automatisch Schnittmengen vorhanden. Es war ein Experiment und bei diesem Experiment konnte mit den vorhandenen Möglichkeiten und der Erfahrung, von Iris und Arvild, aus einem Fundus von Ideen geschöpft werden. Zu der begleitenden Frage, was uns das Manifest heute noch zu sagen hat, könnte man mit der Erfahrung aus der Veranstaltung nachträglich die Frage anschließen: Wie hat es uns heute noch was zu sagen?

»Läuft die Musik die ganze Zeit? Stört das nicht die Konzentration?!« — »Ja.«
Dass die ganze Aktion, keine runde, geschmeidige Angelegenheit werden würde, deutete sich schon im Aufbau an, als wir feststellten, dass es keine Möglichkeit gab, Arvilds Mischpult und Klangsynthesizer direkt mit der Tonanlage des Vortragsraums zu verbinden. Hatten wir betreffend des Manifests über alles Mögliche nachgedacht, hatte wohl der Gedanke und die Absprache über das Entscheidende gefehlt: über verfügbare Stecker und Buchsen. Arvild konnte in kurzer Zeit Lautsprecher organisieren und hatte in noch kürzerer Zeit seine Geräte aufgebaut und verkabelt, so dass trotzdem – mit noch einigem zeitlichen Puffer zum Veranstaltungsbeginn – tiefe Frequenzen und abstrakte Töne, den eher ‚nüchternen‘ Vortragsraum der StaBi fluteten.
Eine glückliche Überraschung bei den ersten Tests mit kurzen Textabschnitten war, dass Iris’ Stimme und ihr Vortragsstil sofort eine spannende Verbindung mit der Schrift von Marx und Engels eingingen. Ihre volle, eher tiefe Stimme, mit einer Prise Rauheit, ließ schon bei den ersten gelesenen Worten das Dringliche und Schlagende des Textes erscheinen. Dieser Eindruck verstärkte sich während der Performance noch, da Iris über die Dauer einer Stunde mit Pausen, Geschwindigkeit, Betonungen und Stimmungen spielen und diese ausprobieren konnte. Auf eine muntere Art irritierend, wirkten kurze Absprachen mit Arvild während der Performance, sowie Lacher und Seufzer von Iris, deren Motivation, sich nicht eindeutig von den Textstellen ableiten liessen – und deren Motiv und Impuls das Geheimnis von Iris bleiben. Der eher funktionale Entscheidung, nach Versprechern die Textstelle zu wiederholen, damit diese für die Produktion eines Radiobeitrags entfernt werden können, fügte sich nahtlos ein in die Variationen, den Text vielfältig zum Klingen zu bringen. Eigenwillig war die Entscheidung, die Wörter ›Proletarier‹, ›Bourgeois‹ und ›Kommunisten‹ mit ›P.‹, ›B.‹ und ›K.‹ abzukürzen.

Den Text abklopfen
Die zu der Lesung von Arvild erzeugten Klänge und Geräusche, sowie kurzen Interventionen mit dem vor Ort stehenden Flügel, bewegten sich in dem Zusammenspiel mit Iris’ Lesung und dem Inhalt des Manifests in einem Spektrum der Empfindungen von ‚unpassend‘ und ‚störend‘ bis ‚harmonisch‘ und als Ausdruck einer intuitiven Verbundenheit zwischen Klang, Stimme und Inhalt des Textes. Rückblickend ist es ein Abklopfen des Gedankengebäudes des Manifests gewesen, das gezeigt hat, dass manche Passagen auch nach hundertsiebzig Jahren eine Gegenwärtigkeit besitzen, als wären sie gestern geschrieben worden, und andere anachronistisch, im Rahmen ihrer Entstehungszeit, zu sehen sind. Mit der Diskussion und den Publikumsbeiträgen im Anschluss, ist erneut deutlich geworden, dass es viel Vermittlungsarbeit bedarf, das Manifest und die Person Karl Marx unabhängig von dem Eindruck seiner Erben wie Josef Stalin oder der Ideologie in der DDR zu lesen und zu besprechen. Es bedarf einiges an Bildungsarbeit das Manifest, sowie andere Texte von Marx nicht als apodiktische Dogmen zu lesen, sondern als das, was wir heute so nötig haben: als Angebot der Schärfung des Bewusstseins.
Für alle, die sich weiterhin mit Marx und Kritischer Theorie beschäftigen wollen, bietet sich das soeben veröffentlichte Programm der MASCH (Marxistische Abendschule Hamburg) für das Wintersemester 2025/2026 an. Es enthält Veranstaltungen und Lektürekurse: https://www.masch-hamburg.de/index.htm
