Ich war nur beleidigt

Sieht ganz so aus, als würden wir jetzt, wo wir gerade  wegsterben, erst Gert Winkler, zuletzt Lo Breier, in Wien eine Art Hochachtung erfahren, ganz anders, als das die Zeit davor der Fall war. Der WIENER hatte uns in bestimmten Phasen praktisch aus einer Geschichte getilgt und man kann sagen, in dem Ausmaß, in dem ehemalige WIENER-Leute in Deutschland Karriere machten, wurden sie in Wien verachtet. 
Anders kann ich mir nicht erklären, weshalb heute meine, im aktuellen WIENER  nachgedruckte, „Falco 3“-Kritik vom November 1985 vom jetzigen Chefredakteur Franz J. Sauer als „Kunstwerk“ (!) bezeichnet wird, als „wirklich gute Plattenkritik, die gleich zwei Mal ins Schwarze trifft“. Anlass des Nachdrucks ist die 40-Jahre-De-Luxe-Jubiläumsversion des Albums.
Naja.  Wirklich gut? Ein guter Text war das eher nicht, ich hoffe, es gab bessere zu der Zeit. Er ist voll von entgleisenden Übertreibungen und einer anfängerisch blasierten Sprache, die nicht der Freude des Lesers, sondern bloß Selbstdarstellung dienen will. Wäre ich damals nicht selbst Chefredakteur gewesen, hätte mir ein anderer den Text zurückgeben müssen, mit der Aufforderung, das ganze Geschwurbel rauszunehmen. Maßstab wären damals die großartigen, knappen, dichten, informiereten Plattenkritiken von Christian Brandl gewesen, der leider früh aus dem Leben geschieden ist, ohne allerdings danach richtig berühmt geworden zu sein.

Und was war der wahre Grund, daß ich so unbegeistert war von „Falco“ 3,  dem Album mit Riesenhits wie „Rock Me Amadeus“, „Vienna Calling“ oder „Jeanny“, daß ich fand, es sei nicht „so gut“ gewesen, wie vorher „Jung Römer“? (Ich komme nur am Schluss des Textes ganz gut raus mit der Bemerkung, die Hitparade habe immer recht; das hätte als Kritik eigentlich schon gereicht.) Warum nahm ich also die Haltung ein, die im nachhinein nun zur sophisticated-en journalistischen Pose verklärt wird?
Sie war nicht Resultat reiflicher Überlegung und eingehender Beschäftigung mit dem Produkt, ich weiß gar nicht, ob ich die Platte ganz durchgehört hatte, sondern, ES WAR SO : ich war beleidigt. Gekränkt. Fühlte mich zurückgewiesen. Die konnten mich mal gern haben.
Wie das? In Zeiten der „Jungen Römer“ konnte ich mir noch einbilden, zum „inner circle“ zu gehören, Produzent Markus Spiegel war immer lustig und hofierte mich als WIENER-Chefredakteur, ich fuhr zu Robert Ponger und Falco nach München ins Studio zu den Aufnahmen von „Junge Römer“ und „der Hansi“ lud mich in seine Wohnung in die Schottenfeldgasse ein und spielte mir neue Songs vor. Wir saßen im Cafe´Sperl und sprachen darüber, ob die Identitätskrise, in der er sich immer wieder befand, durch Kostümierung vorübergehend zu lösen sei, so wie das „Sgt. Pepper“-Cover, dachten wir. Später wurde daraus das  Rock Me Amadeus-Outfit mir Perücke und rotem Gehrock, sein berühmtestes Kostüm.

Da war ich aber längst nicht mehr dabei.  Falco hatte sich nicht nur von Robert Ponger getrennt, sondern von allem, was ihn an die „Einzelhaft“ und „Junge Römer“-Zeit erinnerte. Die Bolland-Brüder kamen, Dolezal-Rossacher prägten den gesamten visuellen Aufritt, als Berater Kreisky-Wahlkampfleiter und „Kronen Zeitungs“-Geschäftsführer Hans Mahr. Der WIENER, Lo Breier hatte übrigens noch das „Junge Römer“-Cover gemacht,  hatte seine Pflicht getan.  Es ist ja interessant, dass keine einzige größere Rock Me Amadeus-Geschichte je im WIENER erschienen war. Wer immer blieb, überall, war nur Erich, der Friseur.

10 Jahre später, in den 90ern,  lebte ich in München und ging zu einem Falco-Konzert im Circus Krone, es war noch vor „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“ (gab es darüber je eine Gut-und-Böse-Diskussion?). Es wunderte mich, wie leicht ich auf „Presse“ reinkam, denn ich hatte mich gar nicht angemeldet.  Vielleicht, weil es noch viele freie Plätze gab,  30 Leute waren da, ich traute meinen Augen nicht. Ich wurde zu Falco „backstage“ vorgelassen – und da saß er, der Hansi, nüchtern jedenfalls nicht.  Ich war nicht sicher, ob er mich erkannte. Er musste noch auf die Bühne – „wia woaten noch a few minutes“ – und ich wusste nicht, wie er das schaffen wollte. Wie er das dann geschafft hatte, das wollte ich nicht mehr sehen, ich fuhr nach Hause. Das war der erste Abschied aus Wien, den ich nahm.

Wer sich über den deutschsprachigen Popjournalismus von WIENER über spex bis  Mode & Verzweiflung seriöser informieren will, der hole sich das soeben erschienene Buch der Münchner Buchwissenschafterin Erika Thomalla.  E.T., Gegenwart machen. Eine Oral History des Ppjournalismus, Verlag, Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2025

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