Lautes Nachdenken über ein ständiges Vorhaben, nennt Henry Grotkasten seinen Text im Untertitel. Geschrieben hat er ihn aus Anlass des bevorstehenden ROTEN SALON mit der Philosophin Jenny Kellner und der Anstösse, die sie dazu in ihrem Buch zum „Anti-Ökonomischen Kommunismus“ gibt. Wir freuen uns auf die Diskussion, von der man wohl sagen kann, dass sie notwendig ist. M.H.
Von Henry Grotkasten
Als Donald Trump in den vergangenen Tagen vor der Presse darüber schwafelte, warum er die Nationalgarde in Staaten und Städte schicken würde, die von den Demokraten regiert werden, sagte er den Satz, dass die „Radical Left“, also die Demokraten, dort nicht nur Sozialismus, sondern schon Kommunismus betreiben würden. Also in etwa: „Es ist nicht nur eine Grippe, die dort wütet – es ist Ebola!“ Oder als Variante, die den historischen Mystizismus aufgreift: „Dort ist nicht nur eine Grippewelle – es ist die Pest!“ Die Pest gilt als ausgerottet … von ihren schauerlichen Auswirkungen, lässt sich nur noch in Geschichtsbüchern lesen. Gilt das für den „Kommunismus“ auch? Geht das Gespenst noch um? Ist es nach Amerika ausgewandert? Oder bereits durch „ICE“ wieder abgeschoben?

Was ist Kommunismus? Es ranken sich um dieses Wort einige Modelle, Visionen, Anschuldigungen und müde Parodien. Karl Marx hat mit seinem engen Freund Friedrich Engels dazu einen berühmten Text geschrieben: »Das Manifest der Kommunistischen Partei« (1848). An welchen Stellen dieser Text so zutreffend ist, als wäre er gestern geschrieben worden, konnten wir bei der letzten Veranstaltung des ROTEN SALON HAMBBURG am 15. September hören. Einige theoretische Weiterentwicklungen und Auseinandersetzungen später, sowie nach der Erfahrung einiger gescheiterter sozialistischer Staaten – oder solcher mit einer gediegenen Entwicklung (China), stehen wir heute letztlich, so aktuell wie damals, vor der Aufgabe, zu ermitteln, was Kommunismus ist und vor allen Dingen, wie er erreicht werden kann.
Es lohnt sich, den Scherbenhaufen mit einigem Abstand zu betrachten. Nichts anderes, hat die 2009, u. a. von Slavoj Žižek mitinitiierte Konferenz »The Idea of Communism« gemacht, auf der eine Vielzahl von Dozent:innen, mit unterschiedlichen, theoretischen Hintergründen, grundlegend über die Frage des Kommunismus referiert und debattiert hat. Die Vorträge sind in drei Bänden (Bd. 1 & 2, 2012; Bd. 3, 2015) im LAIKA-Verlag erschienen. Was in diesen drei Bänden deutlich wird, ist, dass die Verwirklichung des Kommunismus gleichzeitig sehr einfach und nahezu unmöglich ist; sie hängt sowohl mit dem großen, weltumspannenden Ganzen als auch mit dem intimen Bewusstsein, jedes einzelnen Individuums zusammen. Dass in dessen Verwirklichung die Vergangenheit (Wissen und Erfahrung) und Zukunft (als Ideen und Träume) in einer sozialen Kernschmelze zusammenkommen.
Die „Idee des Kommunismus“, so kommt es in den Bänden durch, ist eine Art Aufhebung des Sündenfalls, die ein universelles Erkennen beinhaltet. Adam und Eva haben durch das Erkennen einer existenziellen Differenz, ein Trauma erlebt, welches ihre Nachkommen zu überwinden versuchen und deshalb bis heute, tonnenweise Kultur produziert haben. In die Zukunft gerichtet, kann behauptet werden, dass der Kommunismus das Erkennen von Gleichheit ist, oder: der Gleichwertigkeit der Lebewesen. Um noch ein Stück theologisch zu bleiben: Es ist das „Kommen des Menschensohnes“.
Den theologischen Vergleich habe ich auch deswegen gewählt, weil er für manche unpassend erscheinen wird. Die Religion ist dabei, einer jener großen Posten, bei denen ungewiss ist, welche Form und welchen Inhalt sie in der kommunistischen Gesellschaft hat. Was ist mit Menschen, die den Glauben nicht missen wollen? Gibt es dann noch Glauben? Oder haben sich die unterschiedlichen Religionen mit dem Erreichen des Kommunismus, in einer universellen, transzendentalen Erkenntnis aufgelöst? Mit dem Evangelist Lukas gefragt, der die Worte von Jesus Christus wiedergibt: »Ich sage euch: Er wird ihnen Recht verschaffen, und zwar unverzüglich. Bloss – wird der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben antreffen auf Erden?« (ZB, 2007).
Susan Buck Morss, schreibt im ersten Band von »Die Idee des Kommunismus«, woran ich im weiteren Sinne anschließen will: „Ja, wir müssen den radikalen Kern der Religion ernst nehmen, denn in unserer Zeit hängt revolutionäre Kraft von ihrer Rettung und Neuerfindung ab und nicht von einer simplen Behauptung, dass »wir« über die Religion hinaus fortgeschritten sind, wenn die große Mehrheit der Weltbevölkerung bei diesem Statement ausgeschlossen ist.“ (2012: S. 102). Einer gläubigen Person zu sagen, dass sie nur durch Menschenhand geformtes Papier, Metall oder Stein anbetet, befördert nicht in die Idee des Kommunismus. Genauso wenig bringt es etwas, eine durch und durch atheistischen Person davon überzeugen zu wollen, dass der Flug nach Dubai oder die Reise auf einem Kreuzfahrtschiff nur künstliche Bedürfnisse befriedige. Oder jemandem, der stolz auf seine Arbeit ist, darauf hinzuweisen, dass er ohnehin nur als Knecht oder Magd für den Chef oder die Chefin arbeite und damit die ausbeuterische, kapitalistische Produktionsweise fortsetze. Belehrung und Ratschlag scheinen (wie so häufig) wenig förderlich. Also doch brennende Barrikaden und geladene Kalaschnikow, um die Leute mit der Brechstange zu überzeugen?
Vielmehr läuft es wohl auf eine individuelle Einsicht, ein individuelles Durchdenken der eigenen Verhältnisse hinaus, das bestärkt wird durch Bildungsarbeit und in der Auseinandersetzung. Auch wenn es langwierig ist und Irrwege beinhalten kann: Am Ende dieses Durchdenkens, könnte dann die Aussage stehen, die so häufig nach dem Überwinden von ungesunden Verhältnissen formuliert wird: Wie konnte ich nur?! Also z. B.: Wie konnte ich nur einer faschistischen, menschenverachtenden Idee anhängen?! Wie konnte ich nur, meine Person und Gesundheit, der Arbeit unterordnen und das von anderen erwarten?! Wie konnte ich nur denken, dass Gott mir befiehlt, zu töten und zu vergewaltigen?! Wie konnte ich im Kapitalismus leben?! Etc. pp.
Kommunismus – das ist eine Gesellschaftsformation, in der wir ein grundlegend verändertes Verhältnis zu den Vorstellungen haben, die wir uns von den Dingen, unseren Handlungen und den Begriffen machen. Arbeit, Wert, Besitz, Eigentum und Staat sind darunter die prominentesten. Eine umgestülpte Vorstellung, die ich direkt in einer Szene vor Augen habe, ist die vom Geld. Ein Mann oder eine Frau, die die Straße entlanggeht, in ihrem Portemonnaie einhundertmilliarden Euro stecken hat und einen Menschen mit zerschlissener Kleidung sieht, der sich aus einem Mülleimer einen angebissenen Döner greift, um ihn zu essen – und sich bei dem Anblick weder schämt noch für das Geld rühmt, sondern es als surreal empfindet, dieses Geld überhaupt zu besitzen.
Eines der interessantesten Verhältnisse, die wir zwischen uns Menschen haben, ist jenes des Rechts. Costas Douzinas schreibt in Bd. 1 von »Die Idee des Kommunismus«: „Die kommunistische Revolution wird das universelle Versprechen der Rechte verwirklichen, indem sie moralistische Form und idealistischen Inhalt negiert. Gleichheit wird nicht länger der abstrakte Vergleich ungleicher Individuen, sondern allumfassende und vollständige Teilhabe an einer starken Gemeinschaft sein.“ (2012: S. 111). Mit Äußerungen, wie denen zu der Reform des ALG 2 bzw. des ‚Bürgergeldes‘ von Politikern, der sogenannten SPD, zu hören: „Wir verschärfen die Sanktionen bis an die Grenze dessen, was verfassungsrechtlich zulässig ist.“, entfernen wir uns eher von der, von Douzinas, ausgedrückten Vision. In Anbetracht von Klimakrise und Kriegsrethorik, wird es jedoch schon eine Herausforderung sein, sicherzustellen, dass der Planet Erde und die Menschheit, aus dem einen oder anderen Grund, in den kommenden Jahren, nicht vollständig in Flammen aufgeht. Es ist somit noch ein weiter Weg.
Quellen:
Bärbel Bas zur Reform des Bürgergeldes: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/ergebnissekoalitionsausschuss-100.html Abgerufen: 21.10.25
Zum „Kommunistsichen-Manifest“ im Roten Salon: https://michael-hopp-texte.de/manifest-remixed-najajaja/
Buck Morss, Susan (2012): Das zweite Mal als Farce. Historische Pragmatik und die unzeitgemäße Gegenwart, in: Costas Douzinas, Slavoj Žižek (Hrsg.), Die Idee des Kommunismus, Bd. 1 Hamburg: LAIKA-Verlag (LAIKAtheorie, 17), S. 89–106.
Douzinas, Costas (2012): »Adikia«. Über Kommunismus und Menschenrechte, in: Costas Douzinas, Slavoj Žižek (Hrsg.), Die Idee des Kommunismus, Bd. 1 Hamburg: LAIKA-Verlag (LAIKAtheorie, 17), S. 107–130.
