
Leser dieses Blogs wissen es und erhalten mit Links im heutigen Beitrag wieder Gelegenheit, es nachzuholen, im „MASCH-Urteil“ eines Hamburger Gerichts wurde gegen die „Lehre von Karl Marx“ vorgebracht, sie sei „undemokratisch“. Ein aktuelles Buch belegt ganz ausgezeichnet, daß dem nicht so ist.
Nicht nur hier im Blog, auch im ROTEN SALON HAMBURG ist uns wichtig, in Zeiten von Chaos, Orientierungslosigkeit und viel zu verzagter Suche nach grundlegenden Alternativen, den „Marxismus“ und den „Kommunismus“ von gängigen falschen Vorstellungen zu befreien. Wie auch in unserer Veranstaltung zum „Kommunistischen Manifest“ gleich am kommenden Montag (15.09.), für die Ihr Euch hier anmelden könnt und die am Ende des Blogbeitrags nochmal beworben wird: https://roter-salon-hamburg.de/
Eine Besprechung von Henry Grotkasten
Es ist (wieder) die Ironie der Geschichte, dass ich Anfang dieses Jahres mit Alex Demirović eine Veranstaltung zu seinem, zu dem Zeitpunkt noch nicht erschienenen Buch, »Marx als Demokrat« für die MASCH-Hamburg (Marxistische Abendschule Hamburg) organisieren wollte, das ich in der Ankündigung auf der Website des Karl-Dietz-Verlags entdeckt hatte. Wir schrieben uns via E-Mail und kamen zu dem Schluss, eine Veranstaltung dann zu machen, wenn das Buch tatsächlich erschienen sei, da der Verlag die Veröffentlichung mehrmals verschoben hatte und es unklar war, wann genau es veröffentlicht werden sollte. Ein halbes Jahr später, ist nicht nur das Buch erschienen – wir haben seit über einhundert Tagen eine neue Bundesregierung, unter dem Bundeskanzler Friedrich Merz, die gerade den „Herbst der Reformen“ angekündigt hat, mit dem u. a. massive Einschnitte in den Sozialstaat geplant sind –, die MASCH-Hamburg hat des Weiteren vor dem Verwaltungsgericht Hamburg erfolgreich eine Klage, um die Erwähnung im Bericht des Verfassungsschutzes bestritten. Die Verhandlung wurde zwar gewonnen – im Urteil wurde dem Namensgeber der MASCH, Karl Marx, allerdings attestiert, nicht demokratisch zu sein –, gegen die „Freiheitliche demokratische Grundordnung“ zu verstoßen. Über den Prozess, mit dem Urteil in voller Länge, kann man auf dem Blog von Michael Hopp lesen [https://michael-hopp-texte.de/das-urteil/], interessant auch ein Kommentar dazu von Bruno Leipold hier, [https://verfassungsblog.de/marx-grundgesetz/] und ein Bericht in der der TAZ [https://taz.de/Klage-der-Marxistischen-Abendschule/!6101920/]. Mehr an Aktualität und Relevanz kann das Buch »Marx als Demokrat« wohl nicht mehr gewinnen! Und als hätte der Dietz Verlag das Buch als Antwort auf die angeführten Ereignisse und politischen Entwicklungen zurückgehalten, liest sich aus dem Buch heraus, dass Marx sehr wohl ein Demokrat war, vielleicht sogar ein Demokrat sui generis, der mit der Geschichte der Demokratie, ihren Verhältnissen und ihrer Funktion gerungen, sie in der Analyse ‚ausgewrungen‘ hat.

Nach dem Studium der Philosophie, Soziologie und Germanistik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt a. M. promovierte er mit einer epistemologischen Studie zur marxistischen Ästhetik. Die Habilitation folgte 1992 in Politikwissenschaft und politischer Soziologie.
Karl Marx als wahrer Demokrat
Das Buch besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil ist ein rund achtzigseitiger Essay von Alex Demirović, der einen Abriss der Demokratie als Gebilde gesellschaftlicher Verhältnisse zeigt, vor dem Hintergrund des Werkes und der Theorie von Karl Marx. Für mich, der sich eher noch als ‚Novize‘ – hihi – in der Aneignung des Werkes von Marx sieht, ist dieser Text äußerst hilfreich, bietet er nicht nur einen demokratietheoretischen Einstieg, sondern gibt generell einen zusammenfassenden Überblick über die Höhen und Niederungen der Demokratie, über die man heute so besorgt ist und sich fragt, welche extremistischen und kapitalistischen ‚Fliehkräfte‘ sie aushält. In Demirović’ Text lese ich ebenfalls etwas, das mir im alltäglichen Gespräch mit Freunden, Bekannten und Fremden über Karl Marx und die parlamentarische Linke begegnet: die im Zusammenhang mit dem Namen ‚Karl Marx‘ stehenden Assoziationen, wie die Herrschaft von Josef Stalin in der Sowjetunion oder die Entwicklung, die die DDR genommen hat; den Vorwurf an die Linke, sie sei autoritär und totalitär, wolle den Menschen ihr erarbeitetes Eigentum wegnehmen, die Freiheit des Einzelnen beschneiden, die Menschen gleichmachen und ihnen ihre Persönlichkeit rauben. Mit Demirovićs Erörterungen und den im zweiten Teil von ihm ausgewählten Textpassagen aus unterschiedlichen Werken von Marx wird deutlich, dass selbiger die Auseinandersetzung um Freiheit, Gleichheit und Eigentum in der bürgerlichen Gesellschaft und unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise, wesentlich komplexer geführt hat, als sie ihm mit diesen Assoziationen unterstellt wird.
Die Einzelteile der Demokratie
Viel eher kann man sich mit Marx selbst der Frage nähern, warum die staatssozialistischen Volksrepubliken gescheitert sind. Es sind darüber hinaus grundsätzliche Fragen, die an die Demokratie gestellt werden können: Wer ist das Volk? Welche Rechte gelten und wie lange, wer bestimmt sie? Wie ist mit außerparlamentarischen Kräften umzugehen? Was ist die Allgemeinheit und welche Mehr- und Minderheiten sind dominant/rezessiv? Alex Demirović erläutert am marxschen Modell von Basis und Überbau, ersteres als die Wert-produzierenden Teile der bürgerlichen Gesellschaft, und den Überbau als Rahmen mit Politik, Recht und Kultur, in dem aktiv um die Verhältnisse gerungen wird. In einem Text über die Pressefreiheit, bezeichnet Marx das Gesetzbuch als „Freiheitsbibel“, das die Freiheit des Einzelnen und betreffend die Pressefreiheit, „die Beichte des Volkes vor sich selbst“ garantiert. An diese theologischen Begriffe anknüpfend sei erwähnt, dass die Demokratie, wie Demirović mit Marx herausstellt, aus einem nicht geringen Anteil alltagsreligiöser Praktiken besteht. In einer säkularisierten Welt, wirkt auch im politischen und ökonomischen Betrieb ein Bewusstsein fort, in dem sich die Individuen in einem bestimmten Verhältnis begreifen, das von dem Einen ausgeht (der bürgerlichen Gesellschaft) und den Kapitalismus als eine naturgegebene Form ansehen, der man sich unterordnen muss.
Einen Ausdruck finden
Mit etwas Einführung und Einlesen, ist es eine Freude, sich in die Texte von Marx zu vertiefen. Auch, weil sie ein sprachliches Ereignis sind. Marx’ Sprache und Duktus sind beim Lesen ähnlich einer deftigen Mahlzeit – nach deren Aufnahme man alleine oder zu zweit einen Spaziergang machen kann, um das Aufgenommene zu ‚verdauen‘. Marx’ Schriften sind ein Ringen mit der Sprache, den Überlegungen und Einsichten einen Ausdruck, eine Form zu verleihen. Die von Demirović ausgewählten Textpassagen haben eine passende Länge, sind Häppchen gleich, die man aufnehmen und mit in den Alltag oder den Schlaf nehmen kann. Demirović führt die Textpassagen mit ein paar Sätzen zu ihrer Entstehungszeit, historischen Situation und dem Inhalt ein – interessant und schön hätte ich ein paar Sätze mehr gefunden, in denen seine persönliche Begeisterung aufscheint, Hinweise auf bestimmte „Pointen“ oder Formulierungen. Aber auch so eignet sich das Buch zur klaren Empfehlung – vielleicht auch für Personen, die sich eher der politischen Mitte (was auch immer das heute noch heißt) zuordnen und sich inspirieren lassen wollen, oder für Menschen, die noch wenig oder gar nichts von Marx kennen und einen niederschwelligen, themenbezogenen Einstieg suchen.
Alex Demirović, Marx als Demokrat oder Das Ende der Politik, Dietz Verlag Berlin 2025, 192 Seiten, 16,00 €

